Entnazifizierung light für Publizisten

Reue war ein Fremdwort, dafür waren Karrieresprünge nicht selten. Zu den Gründungsvätern der demokratischen Nachkriegspresse gehörten reihenweise Nazi-Propagandisten  ■ Von Peter Walther

Alles andere als ein wohlmeinendes Geburtstagsgeschenk hat Peter Köpf der westdeutschen Nachkriegspresse gemacht, die in diesen Monaten ihr fünfzigjähriges Jubiläum begeht oder schon begangen hat. Köpf, selbst Publizist und redaktioneller Mitarbeiter am „Zeitungsjahrbuch Deutschland“, hat akribisch die Spuren der „Männer der ersten Stunde“ (Frauen waren so gut wie nicht vertreten) zurück in die zwölf Jahre der Nazi- Diktatur verfolgt.

Herausgekommen ist eine Materialsammlung, die ein düsteres Bild vom tatsächlichen Ergebnis der Entnazifizierungsbemühungen in der Presse zeichnet. Mit den demokratischen Anfängen des westdeutschen Zeitungswesens scheint es – mit Blick auf die Vergangenheit des schreibenden Personals – nicht weither gewesen zu sein.

Köpf hat die Lizenzträger, Chefredakteure und Ressortleiter von 151 Nachkriegszeitungen ermittelt und mit dem Verzeichnis aus dem „Handbuch der deutschen Tagespresse“ aus der Zeit des „Dritten Reiches“ verglichen. Zugleich hat er Zeitzeugen befragt und die Unterlagen der amerikanischen Informationskontrolle, Hunderte von Zeitungsbänden sowie etliche Autobiographien von Journalisten ausgewertet. Ein lesbares Buch, und das ist angesichts der gründlichen Recherche und der Bedeutung des Themas zu bedauern, ist dabei nicht entstanden. Das liegt vor allem an der Art und Weise, das Faktenmaterial versatzstückartig zu einem Text zu montieren.

Zu den Beispielen eines von den Kriegsläufen unbeschadeten Werdegangs gehört die publizistische Tätigkeit von Emil Strodthoff, der seit 1939 unter anderem für den Völkischen Beobachter arbeitete. Darin berichtet er über eine Reise in die „Polackei“, wo er Gestalten gesehen habe, „die immer noch Andersrassige [,Arier‘, d. Red.] fanden, denen sie schachernd und feilschend das Fell über die Ohren ziehen konnten“. Für den Rassisten Strodthoff bringt das Kriegsende einen Karriereschub, ab 1946 wird er Chefredakteur des Westdeutschen Tageblatts – eine von jenen Ungeheuerlichkeiten, die in den ersten Nachkriegsjahren nicht einmal selten waren.

Ein wenig anders liegt der Fall bei dem Lizenzträger der Nürnberger Nachrichten, Joseph E. Drexel. Bis 1933 veröffentlicht Drexel ein konservatives, gegen die Nazis eingestelltes Wochenmagazin, danach arbeitet er für verschiedene Zeitungen und wird 1937 „wegen der Verbreitung von vervielfältigtem Material antinationalsozialistischer Art“ zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Peter Köpf aber reiht Drexel in die Phalanx der Nazi-Schreiber ein und hält ihm vor, er hätte sich schon Anfang der zwanziger Jahre gegen die „dekadenten westlichen Demokratien“ ausgesprochen. Dies ist nur eins von vielen möglichen Beispielen dafür, daß die durchgängige Methode, biographische Brüche auf ein bis zwei Zitate zu verkürzen, den verwickelten Lebensläufen oft nicht gerecht wird. Den eigentlichen Wert des Buches aber macht die instruktive Schilderung der alliierten Pressepolitik in den drei westlichen Besatzungszonen aus. Die in Jalta beschlossene Entnazifizierung wurde in den westlichen Besatzungszonen unterschiedlich konsequent betrieben. Zunächst führte man in allen Besatzungszonen ein Lizenzsystem für die Herausgabe von Zeitungen ein. Bei den Amerikanern (wie auch bei den Franzosen) sollten nicht die Parteien als Herausgeber fungieren, sondern Gruppen von mehr oder weniger unbescholtenen Privatpersonen, die verschiedene Parteien vertraten. Die Briten dagegen favorisierten bald Parteizeitungen. Die bürgerlichen Altverleger erhielten für die ersten Nachkriegsjahre Berufsverbot. Wer eine Lizenz erwerben wollte, mußte einen Katalog von strengen Kriterien erfüllen. Die Eignung für bestimmte Posten im Medienbereich wurde bei den Amerikanern nach dem Ausmaß der Verstrickung in das Nazi-System bewertet. Zu diesem Zweck wurden schwarze, graue und weiße Listen angefertigt, die eine entsprechende Kategorisierung erlaubten.

Das alles half erstaunlich wenig. Ob auf direktem Weg oder auf Umwegen – letztlich sind sie fast alle wieder untergekommen, die Hauptschriftleiter und Schriftleiter, Frontberichterstatter und SS- Mitglieder von einst. Reue zeugten die wenigsten von ihnen, statt dessen bastelten sie an Widerstandslegenden. Wirklich erschreckend ist jedoch das von Köpf dokumentierte Ausmaß der personellen Kontinuität.

Fast ein Dutzend unterschiedlich stark belasteter Schreiber und Redakteure aus den Nazi-Jahren fanden sich zum Beispiel in der Redaktion der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit zusammen. Karl Willy Beer, der Berliner Korrespondent der Zeit, war bis zum Schluß Kriegsberichterstatter für Das Reich. Chefredakteur der Zeit war Ernst Samhaber, der bis zu deren Einstellung 1942 für die Deutsche Rundschau und darüber hinaus für verschiedene andere Zeitungen schrieb. In der Neuen Rundschau etwa exponierte sich Samhaber 1941 mit Betrachtungen zur „rassischen Konstitution“ der US-amerikanischen Gesellschaft: „Wenn es auch möglich war, die asiatische Einwanderung als rassefremd sehr früh abzuwehren, so bleibt das Negerproblem in unvermittelter Stärke bestehen.“

Keine der großen deutschen Zeitungen, die 1995 oder 1996 ihr Gründungsjubiläum feiert(e), ist von dem Geburtsmakel frei, alte Nazi-Propagandisten in ihren Redaktionen beschäftigt zu haben. Betroffen ist das ganze Spektrum – von der Frankfurter Rundschau, dem Tagesspiegel und der Westdeutschen Allgemeinen bis hin zur Welt. „Entnazifizierung light“ nennt Köpf die personelle Kontinuität, die sich trotz aller guten Vorsätze durchgesetzt hat. Das oft gehörte Argument, es mangelte an „Fachkräften“, erscheint in einem anderen Licht angesichts der Tatsache, daß auf die Mitarbeit von Emigranten bewußt verzichtet wurde. Die Emigranten hätten sich zu weit von der deutschen Bevölkerung entfernt, meinten auch die Alliierten. Anders ausgedrückt: Jedes Volk bekommt die Journalisten, die es verdient.

Peter Köpf: „Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse“. Ch. Links Verlag, Berlin 1995, 324 Seiten, 34 DM