Verboten schmeckt die Gazelle am besten

Die Jagd ist illegal, aber alle machen mit: Unterwegs mit Wilderern in der weiten Savanne der Elfenbeinküste  ■ Von Wolfram Schütte

Es bedurfte einiger Überredungskunst, bis Pascal sich bereit erklärte, uns auf einen Jagdausflug mitzunehmen. Die Jagd ist hier, im Norden der Elfenbeinküste, seit fast zwanzig Jahren streng verboten. Das hat die Jäger aber nicht daran gehindert, im Regenwald und den riesigen Savannen ihrer Leidenschaft nachzugehen.

Pascal gilt bei seinen Freunden als broussard – ein Weißer also, den es in den afrikanischen Busch verschlagen hat und der es nicht mehr schafft, in die Zivilisation zurückzukehren. Pascal ist arrogant geworden im Laufe der Jahre – wie die meisten, die sich als Abkömmlinge einer besseren Welt wähnen.

Nach einer anstrengenden Fahrt in Pascals „Jagdwagen“, ein allradgetriebener offener Kleinlaster, erreichen wir am Abend die Region von Maninian im Nordwesten des Landes. In einem kleinen Hotel warten ein junger Libanese und ein einheimischer Jäger auf uns. Noch in der Nacht brechen wir auf und fahren über schmale Pisten in Richtung der Grenze zu Guinea.

Die Landschaft dieser Region ist eintönig: weite, fast baumlose, von hohem Gras bewachsene Savannen, nur gelegentlich von kleinen Wäldern unterbrochen, die den Flußläufen folgen. Zu Beginn eines jeden Jahres brennen die einheimischen Jäger die Savanne ab. Es sind oft wahre Feuerwalzen, die kilometerbreit ganze Landstriche in eine grauschwarze Wüste verwandeln. Nach dem Erlöschen des Feuers dauert es Wochen, bis frisches Gras nachwächst.

Das ist die Zeit, auf die Pascal und seine Jagdfreunde warten. Denn dann verläßt das Wild in der Nacht die schützenden Waldzonen, um das frische Grün zu äsen.

Das Abbrennen wird seit Jahrhunderten praktiziert. Alle Versuche von Umwelt- und Klimaschützern, es zu verhindern, schlugen fehl. Ein hoher Beamter erzählte uns verzweifelt, wie er seinen Vater bat, auf die Feuer zu verzichten. Erzürnt hätte dieser ihn daraufhin gefragt, wer er denn sei und was er schon geleistet habe im Leben, daß er es wage, Dinge besser wissen zu wollen als sein Vater, sein Großvater und die Ahnen.

Bei Sonnenaufgang erreichen wir Pascals Jagdrevier: eine Savanne mit spärlichem Baumwuchs, die sich eintönig bis in den Horizont erstreckt. Weit und breit ist kein Wild zu entdecken. Doch dann macht Abdou, der einheimische Jäger, in der Ferne eine Rotte Warzenschweine aus. Der schwere Wagen setzt sich in Bewegung. Pascals libanesischer Freund lädt zwei automatische Flinten mit grobem Schrot, das in Deutschland seit Jahren verboten ist.

Warzenschweine sind europäischen Wildschweinen ähnlich, aber mit riesigen, bei Jägern begehrten Hauern ausgestattet. Sie sind wachsam; gegen das heranrasende Geländefahrzeug haben sie jedoch keine Chance. Pascal steuert den Wagen direkt neben die flüchtende Rotte und schießt aus kurzer Entfernung. Zwei Frischlinge, ein Muttertier und zwei mächtige Keiler bleiben mit zerschossenen Läufen und zerfetzten Bäuchen liegen. Anschließend trennt ihnen Abdou die Kehle durch.

Die ausgelassene Stimmung unserer Begleiter schlägt in Aufregung um, als Pascal nur wenige hundert Meter entfernt eine Antilopenherde entdeckt. Völlig ungerührt galoppieren die Tiere über die Ebene. Die Herde muß vom nahen Guinea herübergewechselt sein und noch nicht viel Erfahrung mit Jägern haben. Nicht einmal vom Aufheulen des Motors lassen sich die Tiere beeindrucken. Erst als wir schon recht nahe sind, stieben sie in wilder Flucht davon. Jetzt können wir sehen, daß es Pferdeantilopen sind, die zu den schönsten und größten ihrer Art in ganz Afrika gehören und in der Elfenbeinküste sehr selten sind.

Pascal hat ihnen den Weg zum Waldrand abgeschnitten. So fliehen sie mitten in die Ebene hinein und damit in ihr Verhängnis. Die Tachonadel des Wagens zeigt fast 100 km/h, als der Libanese beginnt, die beiden Gewehre, die ein Helfer sofort nachlädt, mehrmals leerzuschießen. Nach mehreren Salven brechen zwei Pferdeantilopen schließlich zusammen. Die Helfer schächten sie schnell, und die Jagdgesellschaft feiert ihren Erfolg mit der Whiskyflasche.

Pascal, dessen Freund in Abidjan ein von Europäern besuchtes Restaurant betreibt, rechnet uns vor: Die geschossenen Tiere erbrächten gut 200 Kilogramm verwertbares Fleisch, das bedeute rund 800 Portionen und Einnahmen von umgerechnet knapp 9.000 DM. Das restliche Fleisch nebst Knochen fände in einem maquis, einem einfachen afrikanischen Restaurant, reißenden Absatz, die Portionen zu rund 3 DM, bei 600 bis 800 Portionen nochmals ein gutes Geschäft. Und Spaß habe es doch auch gemacht.

Während Pascal sich freut, hat Abdou die Tiere bereits gehäutet und zerteilt. Auch er ist zufrieden, denn die Köpfe, Felle, Innereien und Hufe darf er behalten.

Ein Landesunkundiger mag sich fragen, wie eine halbe Tonne illegal geschossenes Fleisch über mehr als 900 Kilometer an gut einem Dutzend Straßensperren von Forstbeamten, Gendarmerie und Polizei vorbei bis zur Hauptstadt Abidjan gelangt. Ganz einfach: Man lädt die Fracht offen auf einen Wagen und fährt an den Bestimmungsort.

Wie wir feststellen können, genügen meist 5.000 FCFA (15 DM), um den Wagen unkontrolliert passieren zu lassen. Besonders für die Forstbeamten hat Pascal nur Spott übrig. Die meisten seien nicht einmal in der Lage, Wild- von Rindfleisch zu unterscheiden. Nur noch ganz wenige könnten wirklich Wilderern nachspüren. Die, die noch etwas vom Jagen verstünden, wilderten selbst. So sei der gesamte Norden und das Zentrum des Landes mittlerweile leergeschossen.

Wir wissen nicht recht, warum, aber Pascal scheint mit unserer Gesellschaft zufrieden zu sein, denn er schlägt uns vor, noch einige Tage in einem Camp im Zentrum des Landes zu verbringen. Dort werde zur Zeit Großwild gejagt. Das sei doch etwas anderes, als mit dem Auto hinter Schweinen herzufahren. Als wir am späten Nachmittag unangemeldet das Camp erreichen, wo gerade ein kleiner Lastwagen mit geräuchertem Wildfleisch beladen wird, betrachten uns dessen Bewohner, meist Jäger aus Mali, mit offenem Mißtrauen.

Der Wildbestand in dieser dichtbewaldeten Region, die eigentlich eine amtliche Schutzzone sei, ginge leider auch rapide zurück, meint Pascal. Die Jäger hier seien mit Karabinern ausgerüstet, während die traditionellen Jäger sich bestenfalls eine einläufige, einschüssige Schrotflinte leisten könnten. Er winkt einen Malier herbei, der uns widerwillig seine Waffe zeigt. Die feindselige Stimmung schlägt allerdings in Begeisterung um, als Pascal erklärt, daß wir die Enkel jener Männer seien, die mit diesen Karabinern den großen Krieg geführt hätten. Auf dem Karabiner lesen wir: „Deutsche Waffen Union – 1916“. Der Malier, der uns gerade noch mißtrauisch betrachtet hat, versichert mit einem strahlenden Lachen, daß sein Gewehr noch hervorragend funktioniere.

Aus einem etwas abseits gelegenen Zelt kriecht zu unserer Überraschung ein stämmiger Weißer. „Carl Flame“, stellt er sich vor und fügt hinzu: „Gegen Deutsche habe ich nichts.“ Carl weist uns eine leerstehende Lehmhütte zu.

Das Lager ist gut organisiert. Bereits gegen 5 Uhr am nächsten Morgen sind die Malier im Wald verschwunden. Für unsere Gruppe hat Carls Koch frischen Kaffee gebrüht und Weißbrot aufgebacken. Ein Frühstückstisch wird hergerichtet, auf dem nicht einmal eine sauber gefaltete Serviette fehlt. „Wenn du dich hier zu lange gehen läßt“, meint Carl, „versackst du völlig. Das Leben ist zu leicht hier, wenn du Kohle hast. Besser, du nimmst mit, was du kriegen kannst, und haust nach zehn Jahren ab.“

Als wir aufbrechen, gehören zu unserer Gruppe noch zwei Fährtensucher, hagere, freundliche Gestalten. „Das sind Malinké“, erklärt Carl, „die besten Jäger, die ich kenne.“ Der ältere von beiden, Thia, geht an die Spitze. Er scheint das Gelände mit einem Joggingpfad zu verwechseln, und nach einer Stunde lächelt Carl milde und gibt dem Führer ein Zeichen, langsamer zu gehen. Solange die hohen Baumkronen ein dichtes Blätterdach bilden, kommen wir gut voran. Wo die Sonne den Boden erreicht, hat sich Gestrüpp gebildet, das sich nur auf den von Elefanten getrampelten Pfaden durchqueren läßt.

Was wir denn eigentlich jagen, wollen wir wissen. Alles, was man räuchern könne, ist die Antwort. Leoparden und Elefanten brächten das meiste Geld. Auf den Einwand, daß man Leoparden nicht im Gänsemarsch mit fünf Personen jagen könne, fragt Carl: Ob wir nicht die Fallen bemerkt hätten, an denen wir mehrfach vorbeigelaufen seien? Natürlich nicht, und wir bekommen ein flaues Gefühl angesichts eines stählernen Monsters, das er uns bald darauf zeigt. „Die schweren gezahnten Schlageisen sind auch in der Lage, Büffel festzuhalten“, betont Carl, sichtlich zufrieden mit seiner Eigenkonstruktion. Leopardenfleisch sei übrigens sehr gefragt wegen der angeblich potenzsteigernden Wirkung, und ein gutes Fell brächte rund 800 DM.

Es dauert eine ganze Weile, bis wir bemerken, daß die beiden Führer der Spur einer Büffelherde gefolgt sind. Geschossen wird diesmal nur ein weibliches Alttier, das zudem noch trächtig war. Der Inhalt der Gebärmutter, ein noch unförmiges Gebilde, wird achtlos weggeworfen. Es bleiben 200 Kilogramm gutes Büffelfleisch.

Am nächsten Tag finden die Jäger die begehrteste Spur: Fußabdrücke zweier großer Elefanten. Bis zu jenem Morgen dachten wir, daß Elefanten schon wegen ihrer Größe ein leichtes Ziel darstellen müßten. Wir werden rasch eines Besseren belehrt. Sobald Elefanten nämlich bemerken, daß sie gejagt werden, flüchten sie in einem Tempo, dem auch der beste Jäger nicht folgen kann, und das tagelang. Oder sie schlagen einen Kreis und verstecken sich neben ihrer eigenen Spur im Gestrüpp.

Auch „unsere“ Elefanten bekommen wir in den nächsten Tagen nie zu Gesicht, obwohl Carl wie ein Besessener stundenlang hinter ihnen herhetzt. Schließlich meint er gereizt: „Ich hätte besser meinen Jägern die Sache überlassen sollen. Die beschmieren sich mit Elefantenkot, so daß die Elefanten sie nicht riechen können, und kommen dann aus unmittelbarer Nähe zum Schuß.“

Der entgangene Gewinn erklärt Carls mißmutige Stimmung. Trotz des weltweiten Handelsverbotes für Elfenbein werden in Abidjan für Stoßzähne von einem Meter immer noch zwischen 1.200 und 2.000 DM gezahlt. Stoßzähne über zwei Meter Länge bringen Liebhaberpreise: 60.000 DM und mehr. Niemand scheint sich in der Hauptstadt daran zu stören, daß auf Straßenmärkten Stoßzähne und Elfenbeinschnitzereien angeboten werden. Fast 20 Jahre nach Erlaß des Jagdverbotes dürften die kaum noch aus Altbeständen stammen.