Eine Aktennotiz aus dem Jahre 1990 sorgt in Brüssel für Wirbel. Einfach "nicht mehr über BSE sprechen", so wird da ein Vertreter der EU-Kommission zitiert. Nur ja "keine ungünstigen Reaktionen für den Markt provozieren". Wollte die EU die V

Eine Aktennotiz aus dem Jahre 1990 sorgt in Brüssel für Wirbel. Einfach „nicht mehr über BSE sprechen“, so wird da ein Vertreter der EU-Kommission zitiert. Nur ja „keine ungünstigen Reaktionen für den Markt provozieren“. Wollte die EU die Verbraucher im unklaren lassen, um den Rindfleischmarkt zu retten? Der Verlauf der BSE-Krise legt den Verdacht nahe.

Verbraucherschutz auf dem EU-Index

Der Ire Peter Prendergast gehört derzeit zu den meistgesuchten Menschen in Brüssel. Der Mann hat nichts verbrochen, sein Name steht lediglich auf einer Aktennotiz aus dem Jahre 1990, die seit einigen Tagen für enormen Wirbel sorgt. In dem Papier steht, daß ein Vertreter der EU-Kommission in der Sitzung des Veterinärausschusses am 12. Oktober den Cheftierärzten der Mitgliedsländer geraten hat, die BSE-Gefahren herunterzuspielen. „Wir müssen kühl bleiben“, wird der Kommissionsbeamte zitiert, „um keine ungünstigen Reaktionen für den Markt zu provozieren. Nicht mehr über BSE sprechen. Das Thema sollte nicht auf der Tagesordnung auftauchen.“ Noch schlimmer liest sich die Zusammenfassung der Sitzung: „Man muß diese BSE-Affäre so klein wie möglich halten, indem man Desinformation betreibt. Es ist besser, zu sagen, daß die Presse zur Übertreibung neigt.“ Außerdem sei man übereingekommen, die britische Regierung offiziell aufzufordern, „die Ergebnisse ihrer Recherchen nicht mehr zu veröffentlichen“.

Peter Prendergast könnte Aufschluß geben, was es mit dieser Aktennotiz auf sich hat. War das die Linie der EU-Kommission, oder hat hier ein einzelner Beamter etwas falsch verstanden, wie die Sprecher der Kommission gestern noch einmal beteuerten? Was hat die EU-Kommission zu diesem Zeitpunkt über die Gefahren der Rinderseuche für den Menschen gewußt? Immerhin gab es bereits damals einige britische Wissenschaftler, die vor einer Creutzfeldt- Jakob-Epidemie warnten, einer Krankheit, die beim Menschen ähnliche Symptome hervorbringt wie BSE bei den Rindern. Doch Prendergast, Leiter der EU-Abteilung für Verbraucherschutz, ist derzeit in Urlaub.

Der Ursprung der Aktennotiz ist schnell erklärt. In der Sitzung der EU-Veterinärexperten war neben dem Kommissionsvertreter aus der EU-Landwirtschaftsabteilung auch ein EU-Beamter für Verbraucherschutz anwesend. Und dem stieß die Diskussion dermaßen auf, daß er die wichtigsten Zitate und Schlußfolgerungen in ein paar Sätzen zusammenfaßte und an seinen Vorgesetzten, eben jenen Prendergast, weiterleitete. Die Frage ist nun, was Prendergast damit gemacht hat, ob er Alarm geschlagen und damit verhindert hat, daß die Vertuschung zur offiziellen Politik gemacht wurde.

Nach Darstellung der EU- Kommission handelt es sich um einen Sturm im Wasserglas. Hier habe jemand einiges falsch zusammengerührt. Zu keinem Zeitpunkt habe die Kommission Desinformation betrieben, und im übrigen, so der Kommissionssprecher gestern, sei die Geschichte seit Jahren „abgeschlossen“. Das Papier ist in der Tat nicht ganz neu. Es wurde schon 1991 von einer französischen Verbraucherzeitschrift veröffentlicht, ohne daß es damals große Reaktionen ausgelöst hätte. Die vereinzelten Rufer aus der Wissenschaft wurden noch als Spinner angesehen, die eine Hysterie unter den Verbrauchern schüren wollten. Die wissenschaftlichen Beweise, hieß es, seien dürftig.

Das hat sich inzwischen geändert. Die Übertragbarkeit auf den Menschen, räumt die EU-Kommission jetzt auch offiziell ein, kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Als die französische Sonntagszeitung Journal du Dimanche die Aktennotiz vor einer Woche erneut publizierte, wurde sie auch gleich unter einem anderen Licht gesehen. Französische Journalisten haben nun auch den Autor gefunden. Gérard Castille, der 1990 in der Verbraucherabteilung gearbeitet hat, lebt heute als Pensionär in Südfrankreich. Auf der 1991 verbreiteten Aktennotiz war der Name Castille geschwärzt.

Doch Castille möchte das Papier nicht mehr kommentieren. Er nimmt aber den Kommissionsbeamten in Schutz, der „nur erklärt hat, was er erklären mußte“. Viel aufschlußreicher sei die Reaktion der Veterinärvertreter aus den Mitgliedsländern gewesen: „Die Veterinärexperten haben nichts gesagt. Das heißt, sie müssen bereits entsprechende Anweisungen gehabt haben.“ Mit anderen Worten: Es habe ein offensichtliches Einverständnis zwischen der EU- Kommission und den Vertretern der Mitgliedsländer gegeben, die Verbraucher im unklaren zu lassen und den milliardenschweren Rindfleischmarkt zu retten.

Ob die EU-Kommission und die Mitgliedsregierungen nun tatsächlich mehr gewußt und Desinformation betrieben haben oder nicht, wird sich kaum klären lassen. Eindeutige Belege dafür gibt es nicht. Der Verlauf der BSE-Krise und ihre Behandlung in Brüssel legen aber zumindest den Verdacht nahe. Zu keinem Zeitpunkt hat die Kommission von sich aus neue Informationen vorgelegt. Sie hat immer nur auf Veröffentlichungen reagiert, meist abwiegelnd. Die von Brüssel verhängten Maßnahmen – vom Verbot der Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer, dem vermuteten Auslöser von BSE, bis zum Exportverbot für britisches Rindfleisch – kamen stets erst, wenn der Markt in Gefahr war. Erst als Verbraucher Rindfleisch abzulehnen begannen, hat die EU die Verbraucher ernst genommen. Alois Berger, Brüssel