Islamist Necmettin Erbakan hat es geschafft

■ In der Vertrauensabstimmung im türkischen Parlament stimmten 278 Abgeordnete für die islamistisch-konservative Regierung, 264 hielten dagegen

Istanbul (taz) – Das türkische Parlament hat der Regierung unter dem islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan das Vertrauen ausgesprochen. 278 Abgeordnete stimmten mit „Ja“ gegenüber 264 Abgeordneten, die mit „Nein“ stimmten. Erstmalig in der 73jährigen Geschichte der türkischen Republik wird damit ein islamistischer Politiker Ministerpräsident. Die Spekulationen der türkischen Presse, daß Erbakan keine Mehrheit finden werde, erwiesen sich als falsch.

Viele „laizistische“ Abgeordnete würden mit „Nein“ stimmen, hatte es geheißen. Doch nur 14 Abgeordnete der Partei des rechten Weges (DYP), die mit Erbakans Wohlfahrtspartei eine Koalition bildet, verweigerten durch „Nein“- Stimmen oder Abwesenheit der konservativ-islamistischen Koalition ihre Zustimmung.

Sichtlich erleichtert lächelte Außenministerin Çiller nach der Vertrauensabstimmung. Der einzige jüdische Abgeordnete im Parlament, Cefi Kamhi von Çillers DYP, enthielt sich der Stimme. Der ehemalige Generalstabschef Dogan Güres, ebenfalls Parteigänger Çillers, war nicht anwesend. Auch Exaußenminister Emre Gönensay zählt zu den Dissidenten, die mit „Nein“ stimmten. Gönensay war der erste DYP-Abgeordnete, der in der namentlichen Abstimmung mit „Nein“ stimmte. Es kam zu Tumulten und Handgreiflichkeiten. Die Sitzung mußte kurz unterbrochen werden. Die Mutterlandspartei (Anap) unter Führung von Mesut Yilmaz und die beiden Linksparteien, die Republikanische Volkspartei und die Partei der Demokratischen Linken stimmten mit „Nein“.

In einer bemerkenswerten Rede bedankte sich Erbakan für das parlamentarische Vertrauen, das seiner Regierung entgegengebracht wurde. Immer wieder verwies er auf die Bedeutung von „demokratischen Spielregeln“. Offensichtlich in Anspielung auf algerische Verhältnisse sprach Erbakan davon, daß die Türkei eine der wenigen Staaten sei, wo „demokratische Spielregeln“ herrschen.

Auch auf die Ausgrenzung der Wohlfahrtspartei vom politischen System, die mit der Ministerpräsidentschaft eines islamistischen Politikers der Vergangenheit angehören wird, ging Erbakan ein. „Der größte Dank gebührt Frau Çiller, die Tag und Nacht für das Zustandekommen der Koalition gearbeitet hat. Es ist nicht die Sache jedes Kühnen, eine Koalition mit der Wohlfahrtspartei einzugehen.“ Im Wahlkampf hatte Çiller die Wohlfahrtspartei mit der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) verglichen. Ihre eigene Partei hingegen, so Çiller damals, sei der einzige Schutz vor dem „drohenden Fundamentalismus“.

Exministerpräsident Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei, der nach den Wahlen im Dezember vergangenen Jahres zuerst mit Erbakan verhandelt hatte, doch schließlich die nur kurz haltende Koalition mit Çillers DYP einging, entging nicht der Kritik Erbakans. Yilmaz habe den „Vogel“, den er in den Händen hielt, laufengelassen. Der Unterschied zwischen Çiller und Yilmaz – beide liberal-konservative Politiker – zeige sich daran, wer die Koaltion mit der Wohlfahrtspartei zuwege gebracht habe. Nach Chaos und Krise beginne unter der neuen Regierung eine neue Phase, die „Glück“ für die Bevölkerung bringen werde. Ömer Erzeren