Geheimsache Rinderwahn

■ Aktennotiz der EU-Kommission enthüllt: Fakten über die Rinderseuche BSE sollten nicht veröffentlicht werden. Brüssel weist Vorwurf der Desinformation zurück

Brüssel (taz) – Die Europäische Kommission steht im Verdacht, die Bevölkerung über die Gefahren der britischen Rinderseuche BSE bewußt falsch informiert zu haben. In Brüssel ist eine Aktennotiz aus dem Jahr 1990 aufgetaucht, nach der die EU-Kommission den Mitgliedsländern empfohlen hat, „Desinformation“ zu betreiben, um negative Auswirkungen auf den Rindfleischmarkt zu vermeiden.

Ein Kommissionsbeamter hatte die Notiz nach einer Sitzung der Agrarexperten aus den Mitgliedstaaten angefertigt, um die Verbraucherschutzabteilung der EU zu informieren. In dem Papier heißt es, der offizielle Kommissionsvertreter in dieser Sitzung habe die Experten aufgefordert, nicht mehr öffentlich über BSE zu sprechen. Das Thema dürfe nicht auf die Tagesordnung kommen, weil dadurch negative Auswirkungen auf den Rindfleischmarkt provoziert werden können. Die Versammlung sei sich einig gewesen, daß es besser sei, der Presse zu unterstellen, sie neige zu Übertreibungen. Außerdem werde man Großbritannien offiziell auffordern, Ergebnisse ihrer Nachforschungen nicht mehr zu veröffentlichen.

Die EU-Kommission versuchte gestern, die Bedeutung des Papiers herunterzuspielen. 1990, als die Sitzung stattfand, habe es keine wissenschaftlichen Beweise für die Übertragbarkeit der Seuche auf den Menschen gegeben. Deshalb sei man bemüht gewesen, keine Hysterie entstehen zu lassen. Zu keiner Zeit habe die Kommission falsche Fakten veröffentlicht, sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel: „Die Kommission hat nichts verheimlicht.“ Man betrachte die Affäre als abgeschlossen, weil die Aktennotiz bereits 1991 in einer französischen Zeitung aufgetaucht sei. Schon damals habe man die Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen. Die nordrhein- westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn kündigte gestern an, überprüfen zu lassen, ob Informationen über BSE von der Kommission vertuscht wurden. Es gebe hier viele „Ungereimtheiten“.

Auch den Verdacht, daß britisches Rindfleisch trotz des Exportverbots über Irland und Portugal nach Italien gelangt sei, wollte die Kommission gestern nicht bestätigen. Der deutsche Botschafter in Italien hatte in einem Schreiben an die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß in Italien eine Ladung britischen Rindfleisches aufgegriffen wurde, die als Kartoffeltransport deklariert war.

Alois Berger Tagesthema Seite 3