piwik no script img

Schön, reich und aussterbend

■ Im Gespräch: Die Regisseurin Sybille Linke über die Groteske „Pterodactylus“, die morgen im Jungen Theater Premiere hat / Wissenswertes über Dinosaurier, Reality TV und die hohe Kunst des Boulevardtheaters

Vom letzten Aufbäumen einer verkommenen Mittelklasse-Familie erzählt das Stück „Pterodactylus“ des amerikanischen Autors Nick Silver. Morgen erlebt das Stück seine Premiere im Jungen Theater. Was die neue Inszenierung aus dem grotesken Dinosaurier-Stoff machen will, erläuterte die Gastregisseurin Sybille Linke, die bis zum vergangenen Jahr am Schauspielhaus in Hannover gearbeitet hat, im Gespräch mit der taz.

taz: „Pterodactylus“ ist eine seltsame Mischung zwischen Boulevardtheater und tragischer Farce. Der Autor Nick Silver demontiert in seinem Stück auf groteske Weise die schöne heile Welt einer amerikanischen Upper-Middle-Class-Familie. Eine Ansammlung von schrägen und skurrilen Typen, die zwischen Alkoholismus und Inzest aneinander vorbeileben.

Sybille Linke: Das ist richtig. Die Familienmitglieder bemühen sich, nach den Maßgaben einer Illustrierten zu leben: schön, reich, heil, oberflächlich. Durch die Rückkehr des aidskranken Sohnes Todd funktioniert das natürlich nicht mehr. Trotzdem versuchen alle, den schönen Schein weiterhin aufrechtzuerhalten. Der Spaß und die Tragik in dem Stück liegt darin, wie ein Voyeur zu beobachten, daß dieses Spiel mißlingen muß.

Ein Grund, warum Du Dir dieses Stück ausgesucht hast?

Ja. Interessant fand ich aber auch die Art, wie Nick Silver Tabu- und Reizthemen in ein Boulevardstück verpackt hat. Außerdem gefallen mir die Dialogführung, der Witz, die treffsicheren Pointen. Und daneben all die schockierenden und entlarvenden Elemente. Geschickt, wie Silver das Boulevardgenre zunächst parodiert, um schließlich alles aufzulösen, was ein Boulevardstück eigentlich auszeichnet. Er zerstört die Illusion der schönen heilen Welt und verweigert uns das Happy End.

Eine interessante Mixtur. Aber sicherlich nicht einfach, wenn gutes Boulevardtheater gezeigt werden soll.

Boulevardtheater kann dann gut werden, wenn die Figuren eine Realität haben. Wenn man nur die Karikatur im Auge hat, mißlingt es. Das ist langweilig, wenn man nach fünf Minuten die Charaktere durchschaut hat. Wir versuchen, die Personen ernstzunehmen und auch die Probleme, die sie haben: Aids, Tablettensucht, Alkoholismus, Inzest. In diesem Stück wird ja nichts ausgelassen.

Ein sehr amerikanisches Stück, finde ich. Wird es nicht schwierig werden, all diese überdrehten und skurrilen Typen einem deutschen Publikum glaubwürdig zu machen?

Es spielt mit der amerikanischen Lebensweise und zitiert Elemente der amerikanischen Kultur, die uns so fremd aber nicht ist. Es kann nicht darum gehen, ein spezifisch amerikanisches Lebensgefühl auf die Schippe zu nehmen. Hier wird gezeigt, wie das Leben sich hinter Illusionen versteckt und so zur Lebenslüge gemacht wird. Das ist doch durchaus übertragbar.

Auch die Art, wie die Probleme behandelt werden?

Natürlich geht die anglo-amerikanische Kultur mit bestimmten Problemen leichter und witziger um, während die Deutschen oft dazu neigen, zu gründeln und ständig tiefer schürfen zu wollen. Aber gerade diesen Unterschied finde ich spannend.

Es gibt längere Ansprachen und Monologe der Figuren, die sich an das Publikum richten. Das erinnert manchmal an das epische Theater von Brecht.

Es geht nicht darum, wie bei Brecht Lehrreiches über die Personen zu erfahren. Silver versucht, auf eine öffentliche Weise mit Verlogenheit umzugehen, sie dadurch hochzustilisieren. Dieses Publikmachen der intimsten Probleme und Seelenzustände ist etwas, was unsere Zeit prägt. Man denke nur an Reality TV. Da geht es um ganz intime Dinge, die vor noch gar nicht langer Zeit über Moral geschützt wurden.

Der Verlust der Privatsphäre zugunsten der Unterhaltung.

Ja. Und so ist auch das Stück aufgebaut: „Schaut zu, wie wir uns alle in den Abgrund stürzen. Schaut zu, und amüsiert euch darüber.“ Und trotzdem wird es Momente geben, wo die Leute schockiert sein werden und vielleicht etwas erkennen von den Problemen, die sie ständig zu verschweigen versuchen. Fragen: Thomas Lotte

Premiere morgen im Jungen Theater, 20.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen