Delmenhorster Schmäh

■ Wiener Kaffeehaus-Melancholie im kleinen „Bistro Brazil“ mit Herrn Osmers

Wenn der Sommer nicht mitspielt und man sich drinnen statt draußen entspannen muß, haben es die Wiener leicht. Sie gehen einfach ins Kaffeehaus und hören Kaffeehausmusik. Die Bremer müssen da ein wenig schummeln und sich ihr Kaffeehaus selbst machen. Wie schön, wenn man dann einen hat, der im Herzen Wiener ist und diese Arbeit gerne auf sich nimmt. Hans-Jürgen Osmers, bekannt als stumm schwitzender Pianist des Bremer Glitter-Jazz-Duos „Pearly Passion“, ist so einer. Unter dem Motto „Hymnus an Wien“ lud er sich am Montag ein paar MitmusikerInnen ins „Bistro Brazil“, um dort vor begeistertem Publikum sein Wiener G'müat auszuleben.

Osmers selbst saß in seinem Streichholzlook (weißer Anzug, rote Haare) am digitalen Piano. Ein Flügel hätte in die Fensterecke des engen und extrem generös gefüllten Bistros eh nicht gepaßt. Ganz der gewiefte Conférencier, eröffnete er angetan mit verspiegelter Sonnenbrille und im Mundwinkel hängender Zigarette sein Wien-Potpourri selbstverständlich mit der Titelmelodie aus „Der dritte Mann“. So souverän er das tat, lief er erst im Zusammenspiel mit der Violinistin Birgit Wülbers zu Höchstform auf. Angekündigt als „eine Musikstudentin im zweiten Semester, für die es sicherlich eine große Ehre ist, hier heute abend spielen zu dürfen“, erwies sie sich als Virtuosin, die mit dem Chef-Entertainer hinter den Tasten mehr als nur mithalten konnte.

Beide harmonierten perfekt, schaukelten sich gegenseitig hoch, und oft war schwer zu sagen, wer da gerade den Ton vorgab und wer lediglich darauf reagierte. Wülbers Violine ging einem besonders in den langgezogenen, herzig-romantischen bis kitschigen Passagen positiv durch Mark und Bein, Osmers steigerte sich vor allem in seine dramatischen und lauten Finale hinein. Zwischen den Songs erzählte er u. a., was Wien und Delmenhorst gemeinsam haben, nämlich die hohe Selbstmordrate.

Daß die Ironie dabei nicht nur in den Ansagen ihr zu Hause gefunden hatte, sondern auch musikalisch praktiziert wurde, verstand sich von selbst. Tango und russische Folklore wurden ebenso vereinnahmt wie „Can-Can“, „New York, New York“ oder „Rock Me, Amadeus“ mit echter Rock-Orgel.

Bei solchem Können konnte aber kaum von Parodie die Rede sein. Bloß der gelegentliche Gastsänger Günter Merlau überspannte den Bogen ein wenig. Vorgestellt als einziger wirklicher Wiener im Bunde, wienerte er seine Texte allzu sehr zu. Immerhin war er die schillerndste Figur des Abends mit Turban, Stola und ausufernder Halskette. Ein musikalisches Glanzlicht setzte er dann doch noch, als er mit seiner „kleinen Schwester“ ein wunderschönes Duett zum besten gab, bei dessen Höhepunkt sich die beiden wie verliebte Vöglein anzwitscherten.

Andreas Neuenkirchen