Geschürte Hysterie um Ecstasy

■ Wie gefährlich ist Ecstasy? Nach hysterischen Berichten wurde zum erstenmal in Berlin eine Untersuchung über Konsumenten von Partydrogen veröffentlicht. Die Hälfte der Befragten klagten über Depressionen am T

Pünktlich vier Wochen vor der Love Parade schlug der Focus, Deutschlands Magazin für harte Fakten, Alarm. In einer poppigen Titelstory über die „Glückspille Ecstasy“ wurden die Gefahren der Designerdroge schonungslos offengelegt: „Mysteriöse Erkrankungen“ häufen sich, „ausgemergelte Körper“ hängen „schlaff im Rollstuhl“.

Bei vielen Eltern rennt Focus mit einer solchen Geschichte offene Kinderzimmertüren ein. Die wähnen ihre erwartungsvoll hibbelnden Kids schon auf der Tanzspirale in den Abgrund: „Fast täglich höre ich von Jugendlichen, die wegen des Artikels massiv Ärger zu Hause bekommen haben“, berichtet Tibor Harras von Eve & Rave. Die Mitarbeiter des Vereins, die akzeptierende Drogenarbeit in den Berliner Clubs leisten, berichten sogar von den ersten Rausschmissen aus der elterlichen Wohnung.

Wer sich jenseits solcher Hysterie mit Ecstasy befaßt, wird bald feststellen, daß es seriöse Untersuchungen zum Thema kaum gibt. Längst ist der Konsum der Partydroge zu einem Massenphänomen geworden, das sich nicht an die behördlich konstruierten Grenzen der „Drogenszene“ hält. Für fundierte Langzeituntersuchungen sind die UserInnenkreise und deren Konsumverhalten bei weitem zu heterogen, und auch die auf dem Focus-Titelblatt angekündigten Hirnschäden mußten im Heft wieder relativiert werden.

In Berlin haben MitarbeiterInnen des Sozialpädagogischen Instituts (SPI) und des Therapieladens, der einzigen offiziellen Berliner Anlaufstelle für die KonsumentInnen von Partydrogen, eine erste Bestandsaufnahme zum Thema veröffentlicht. Über eine „Ecstasy- Hotline“ berichteten 246 AnruferInnen über ihre Erfahrungen mit synthetischen Drogen. Peter Tossmann vom SPI, einer der Leiter der Studie, bestreitet die Mär vom jugendlichen Outsider: Es handele sich bei den UserInnen um „normale, junge Leute“, die in geregelten Wohn- und Arbeitssituationen leben. Allerdings stellt er mit dem zunehmenden Gebrauch von Ecstasy eine „generelle Affinität zu Drogen insgesamt“ fest: Alle AnruferInnen, die Ecstasy genommen haben, haben bereits Haschisch geraucht, und die Mehrzahl hat Erfahrungen mit LSD, Speed und Kokain.

Die Häufigkeit der Anwendung ist jedoch höchst unterschiedlich: Der „Hardcore-Fraktion“, die praktisch jedes Wochenende mit mindestens zwei Pillen dabei ist, steht die etwa gleich große Gruppe derer gegenüber, die sich den Party-Kick nur gelegentlich gönnen. Tossmann stellt fest, daß es durchaus „unproblematische Formen von E-Konsum“ gebe, wenn auch über die Hälfte der Befragten Depressionen am Tag danach kennen. Ernsthafte Probleme haben allerdings die Leute, die sich das Freizeitvergügen zum Lebensinhalt machen und oft über Jahre hinweg Wochenende für Wochenende alles einschmeißen, was ihnen in die Finger kommt. Daß insbesondere Amphetamine das Nervensystem angreifen, ist hinlänglich bekannt, und wer seiner Gesundheit einen Gefallen tun will, macht sowieso lieber einen Bogen um die Drogen.

Daß Ecstasy genommen wird, und zwar nicht zu knapp, ist eine Tatsache. Nach Schätzungen von Eve & Rave sind allein in Berlin sechzigtausend Leute mehr oder weniger regelmäßig auf E. An den Erfolg von Verboten und Abstinenzkampagnen glaubt niemand mehr. „Wenn wir die Wahrheit sagen würden, müßten wir zugeben, daß viele Drogen tatsächlich Spaß machen“, schreibt Nicholas Saunders, der mit „E is for Ecstasy“ das Standardwerk zum Thema verfaßt hat. Neben einer deutschen Ausgabe liegt jetzt auch der englische Orginaltext im Internet vor (http:// hyperreal.com/drugs/e4x).

Ähnlich pragmatisch wie der Ansatz des britischen Autors ist das Konzept, das Eve & Rave vertreten. Deren MitarbeiterInnen, die selbst aus der Technoszene kommen, beraten die Jugendlichen vor Ort, klären über den sachgemäßen Umgang mit der Droge auf und lassen regelmäßig Pillen auf ihre Zusammensetzung untersuchen. Die Veröffentlichung solcher Listen, die bundesweit bei den Aids-Hilfen eingesehen werden können, hat bereits zu einer erkennbaren Qualitätssteigerung des in Berlin gehandelten Ecstasy geführt. Untersuchungen wie diese widerlegen zudem die immer wiederkehrenden Berichte über Tabletten, die mit Rattengift oder Heroin gestreckt seien.

„Die Gefährlichkeit ist keine Eigenschaft des Stoffes, sondern der Anwendung“, sagt Tibor Harras von Eve & Rave. Gerade in den kleinen, unabhängigen Clubs, wo allenthalben die Drogenhölle vermutet wird, verlaufen auch die wildesten Parties ohne nennenswerte Zwischenfälle. Doch ein Großteil des Konsums findet unter den Bedingungen einer profitorientierten Wachstumsbranche statt. Wenn Clubbetreiber auf den Toiletten das Wasser abdrehen, um ihre Getränkepreise durchzusetzen, und keine Ruhezonen zur Verfügung stellen, sind Kreislaufzusammenbrüche abzusehen – selbst ohne Drogen.

Auch auf der Love Parade stehen dem verantwortlichen Umgang mit Ecstasy in erster Linie wirtschaftliche und ökologische Interessen entgegen. Wenn eine zusätzliche, kostenlose Ausgabe von Mineraldrinks am Stand von Eve & Rave in Frage steht, dann weil der Veranstalter einen Exklusivvertrag mit einem Getränkegroßhändler hat. Daß auch die Verteilung von Aufklärungsbroschüren zu scheitern droht, weil deren Entsorgung nicht gewährleistet sei, nimmt man bei Eve & Rave mit Achselzucken zur Kenntnis: „Was soll man dazu noch sagen?“ Heike Blümner, Sebastian Lütgert

Therapieladen: Telefon: 341 70 47. Mo, Mi, Do von 13 bis 17 Uhr.