„Ich hatte einen Grund, den Namen zu wechseln – er auch“

■ Die Jüdin Blanca Rosenberg überlebte als Bronislawa Panasiak den Holocaust. Die heute 83jährige kann sich an den Kreishauptmann Volkmann gut erinnern, obwohl sie ihm „nie ins Gesicht geschaut“ hat

Der 7. September 1942 ist für die New Yorkerin Blanca Rosenberg stets ein Trauertrag geblieben. An jenem Tag vor 54 Jahren sah sie ihren Bruder Romek zum letzten Mal. Die Geschwister standen im Judenghetto von Kolomea (heute: Ukraine) zusammen mit 5.300 Juden in einer Schlange vor dem deutschen Gestapo-Chef Peter Leideritz. Persönlich „selektierte“ Leideritz an diesem Tag die Juden in zwei Gruppen: links in den Tod, in das Konzentrationslager Belzec, rechts zur Zwangsarbeit in die Fabriken. Am Ende standen auf der linken Seite 4.769 Juden – auch Romek war unter ihnen. Blanca Rosenberg wurde nach rechts geschickt.

Szenenwechsel: Am 1. April 1945 besetzten die US-Truppen Heidelberg. Während die verängstigten Deutschen in den Kellern saßen, stand eine junge Frau am Straßenrand und weinte vor Freude. Ihr Name: Bronislawa Panasiak. Unter falschem Namen hatte Blanca Rosenberg den Krieg als „polnisch-katholisches“ Dienstmädchen überlebt. Mit gefälschten Papieren war sie aus dem Ghetto von Kolomea entkommen und hatte sich bis in die Höhle des Löwen nach Deutschland durchgeschlagen.

Jetzt erschien im Suhrkamp Verlag die Überlebensgeschichte von Blanca Rosenberg, die als Psychotherapeutin in New York lebt. „To Tell at Last“, lautet der amerikanische Titel des Buches „Versuch zu überleben“. Das Manuskript hatte jahrelang im Schrank gelegen, ehe sie sich zur Veröffentlichung entschloß. Noch während des Drucks erfuhr Blanca Rosenberg, daß einer ihrer damaligen Verfolger, der Chef des Ghettos von Kolomea, Claus Peter Volkmann, heute unter anderem Namen in Deutschland lebt. „Ich hatte einen Grund, den Namen zu wechseln – er auch“, sagt sie. „Mir hat es das Leben gerettet, ihn vor Strafe bewahrt.“

Die heute 83jährige kann sich an den „Kreishauptmann Volkmann“ noch gut erinnern. Sein Name stand unter jedem Aufruf, der die Juden schikanierte und jegliches Fehlverhalten mit dem Tode bedrohte. „An sein Aussehen kann ich mich nicht erinnern, denn ich habe ihm nie ins Gesicht geschaut. Es ist für mich aus dieser Zeit nur eine Maske übriggeblieben: die des deutschen Nazis.“ Als Volkmann die Enteignung aller Juden anordnete, warf Blanca Rosenberg ihren Ehering ins Klo: „Ich wollte die Nazis nicht noch durch meine Hochzeit reicher machen.“

Von ihrem Arbeitsplatz in einer Hemdenfabrik aus beobachtete Blanca Rosenberg im Juni 1942 auch eine der grausamsten Szenen im Ghetto unter Volkmanns Aufsicht. Im Schlachthaus der Stadt wurden Juden zusammengetrieben und von deutschen und ukrainischen Wachmannschaften erschossen. „Ein kleiner Junge hatte sich aufs Dach gerettet und war fast schon entkommen, da sah ihn ein deutscher SS-Mann und schoß ihn herunter. Er fiel ihm direkt vor die Füße.“ Unter den Opfern des Gemetzels an diesem Tag waren auch Blanca Rosenbergs Schwiegereltern.

Am Ende des Krieges war Blanca Rosenbergs nächster Verwandter ein Vetter dritten Grades. Sie hatte als einzige überlebt und fühlte sich schuldig. Schreiben half ihr, „die Gespenster in der Nacht zu vertreiben und Schmerz und Schuldgefühl zu überwinden“. Doch erst als sie ihre Professur an der Columbia-Universität in New York beendet hatte, holte sie das Manuskript wieder hervor. „Ich habe es vor allem für junge Menschen geschrieben“, sagt sie, „für junge Amerikaner und für junge Deutsche.“ In der vergangenen Woche kam Blanca Rosenberg nach Rastatt (Baden) und diskutierte mit Schülern des Wilhelm- Gymnasiums. Anschließend fand sie: „Das ist eine andere Generation. Ihnen kann ich wieder ins Gesicht schauen.“ Philipp Maußhardt

Blanca Rosenberg, „Versuch zu überleben, Polen 1941–1945“, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1996. 263 Seiten, 42 DM