„Studiengebühren sind eine absolute Notmaßnahme“

■ Interview mit Peter Glotz , SPD-Bundestagsabgeordneter, als Gründungspräsident der Erfurter Uni im Gespräch

taz: Herr Glotz, Sie plädieren für Studiengebühren in Höhe von 2.000 Mark pro Jahr. Wie teuer war denn Ihr Studium?

Peter Glotz: Ich kann Ihnen die Summe gar nicht mehr nennen. Das ist immerhin 30 Jahre her.

In der Regel lagen die Gebühren bei 150 Mark pro Semester.

Das ist möglich. Die Gebühren waren in der Tat nicht erheblich.

Wer hat Ihr Studium finanziert?

Ich selbst, ab dem dritten Semester. Ich habe damals als Hilfssachbearbeiter bei einer Münchener Versicherungsanstalt gearbeitet, und zwar ganztags. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich Medizin studiert hätte. Aber ich habe geisteswissenschaftliche Fächer studiert und konnte so über weite Strecken ganztags arbeiten.

Wie lange haben Sie studiert?

Insgesamt zehn Semester.

Heute stehen Studenten, die Bafög beziehen, nach ihrem Studium vor einem Schuldenberg von bis zu 30.000 Mark. Dazu sollen nun noch die Studiengebühren kommen. Wer die nicht sofort bezahlen kann, bei dem summieren sich die Schulden künftig also auf 45.000 Mark.

Ganz ohne Zweifel ist das eine erhebliche Summe. Aber wie viele verschulden sich heute für ein Eigenheim? Schauen Sie sich die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit an: Wenn jemand eine gute Ausbildung hat, ist die Chance, daß er arbeitslos wird, heute um ein Vielfaches geringer als bei schlechter Bildung. Das Wichtigste, was heute jemand mitbekommen kann, ist Bildung. Eine Verschuldung für Bildung ist wichtiger als eine Verschuldung für das Eigenheim.

Studiengebühren wären dennoch eine bildungspolitische Bankrotterklärung.

Da stimme ich Ihnen zu. Studiengebühren sind eine absolute Notmaßnahme. Aber wir sind auch in einer Lage, in der man Notmaßnahmen ergreifen muß. Das wichtigste Argument für Studiengebühren ist der akute Geldmangel. Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, Bund und Länder müßten mehr für Bildung ausgeben. Dafür plädiere ich seit Jahren, ohne Erfolg.

In Berlin sollen Studierende ab Herbst eine Gebühr von 100 Mark zahlen. Dieses Geld kommt allerdings nicht den Universitäten zugute, sondern dient allein der Sanierung des Landeshaushalts.

Die Berliner Maßnahme halte ich für völlig abwegig. Studiengebühren haben nur dann einen Sinn, wenn sie zu hundert Prozent in die Verbesserung der Lehre fließen, wenn die Bibliotheksetats aufgestockt werden, wenn mehr Assistenten eingestellt werden.

Ein häufiges Argument für Studiengebühren lautet: Wieso soll die junge Verkäuferin eigentlich mit ihren Steuern das Medizinstudium ihres Sohnes bezahlen?

Das ist ein richtiges Nebenargument. Dadurch, daß ein Studium heute völlig umsonst ist, tragen natürlich die kleinen Steuerzahler den größten Teil der Studienkosten. Spätere Akademiker profitieren davon, denn sie können ein viel höheres Lebenseinkommen erzielen – etwa 187 Prozent des Durchschnittseinkommens.

Dieser Logik folgend müßte man auch für eine Wiedereinführung von Lehrgeld plädieren.

Man könnte in der Tat zu solch absurden Überlegungen kommen. Dann könnte man aber umgekehrt auch fragen, wieso Eltern heute schon Kindergartengebühren bezahlen, während niemand Studiengebühren zahlt. Diese Rabulistik führt allerdings nicht weiter. Es ist ein absolutes Muß, die Lehre an den Hochschulen zu verbessern. Deshalb bin ich für Studiengebühren. Wenn jemand einen anderen Weg sieht, um an Geld zu kommen, bin ich einverstanden. Bisher hat mir jedoch noch keiner gesagt, woher das Geld kommen soll. Interview: Karin Flothmann