Klaustrophobischer Innenhof

■ Mit Clockers sperrt sich Spike Lee in die Enge einer Hochhaussiedlung ein

Ja, es ist ein Spike-Lee-Film. Da davon ohnehin nicht zu abstrahieren ist, gilt es vielleicht zuerst, Lee von vielen Zuschreibungen zu befreien: als Onkel Tom, als Alibi-Schwarzen und überhaupt als denjenigen, der via Mainstream allen Inhalt verwässert hat. Was als Ansatzpunkt der Kritik sicherlich diskutabel und im einzelnen zu belegen ist, hat als Einordnungsprinzip ausschließlich reaktionäre Auswirkungen. Denn hier wird immer noch an etwas gearbeitet, was es bis dato nicht gab: eine Produktionsstruktur für Afro-Amerikaner innerhalb oder parallel zur Industrie Hollywoods. Dafür produziert, schreibt und gründet Lee unaufhörlich.

Wie fragil dieses Gebilde von Film bis Kleidung wirklich ist, läßt sich aus transatlantischer Distanz kaum beurteilen, aber es ist gewiß nicht der Trust, als den es die Medienöffentlichkeit jahrelang erscheinen ließ. Und Clockers, neben Girl 6 der andere „neue“ Film von Lee – er erschien in den USA schon vor einem Jahr – trägt nicht dazu bei, das Gebäude zu festigen. Denn der Film ist ein kommerzieller Flop und hat auch deswegen erheblich verzögert und nur auf Schleichwegen den Weg in die deutschen Kinos gefunden.

Dabei fällt es nicht leicht, Gründe für das Desinteresse zu finden: Clockers ist weder ein schwieriger noch ein schlechter Film. Möglicherweise steckt der Mißerfolg in den hauptsächlichen Qualitäten wie der betont unromantischen, leicht klaustrophobischen Stimmung der „projects“, der Hochhaussiedlungen in Brooklyn, die der Film nie verläßt. Hier, auf den Bänken eines Innenhofs, für Polizei und Kunden lediglich durch eine Zufahrt erreichbar und umrahmt von den besorgten Augen der Mütter und Schwestern, ziehen Strike und seine Kumpels ihre Deals durch.

Vielleicht ist aber auch die nahezu durchgehende Ambivalenz der Charaktere – nur Strikes Bruder und der schwarze Cop des Viertels verkörpern überirdische Güte. Dagegen steckt das Böse keinesfalls beim weißen Bullen. Im Gegenteil: Harvey Keitel, der ein weiteres Mal sich selbst spielt, ist der fleischgewordene Mittelweg, das Maximum an Gerechtigkeit, das durch Pragmatismus hinweg machbar ist. Das Böse steckt – natürlich – in Drogen, aber auch wiederum nicht, da eine alternative Verdienstform nicht angeboten wird.

Von daher ist das Böse im System und damit ebenso tragisch wie das lakonische Sterben. Was bleibt, ist „Dreck auf dem Bürgersteig“, ist der zweimal gebrauchte Zynismus, mit dem die weißen Polizisten die schwarzen Leichen entfernen. Darin bündelt sich die ganze Kraft dieses Films – nicht in der Frage, ob Strike oder sein Bruder den ersten Mord begangen haben, sondern in der Darstellung der Unveränderlichkeit des Lebens und Sterbens in diesem Umfeld.

Holger in't Veld

Abaton