„Wir finden zu zivileren Umgangsformen“

■ Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen will moderner Dienstleister sein: Reformprojekt „Geschlossener Gruppenvollzug“

Hell flutet die Sonne durch den breiten Gang in Haus zwei der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen. In der Justizvollzugsgruppe „2“ ist Mittagspause angesagt, die braunen Zellentüren rechts und links vom Flur stehen offen, Sofas im Flur. Ein Radio duldet leise vor sich hin. Doch am Ende des Ganges ist Schluß: Dort versperrt eine große Glastür den Weg in die Freiheit.

Es ist zwölf Uhr: Mittagspause. 30 Häftlinge sind hier im geschlossenen Gruppenvollzug untergebracht, der größte Teil wegen Drogendelikten. Geschlossener Gruppenvollzug bedeutet: die Türen von 30 Einzelzellen sind tagsüber nicht verschlossen, der Gang kann nicht verlassen werden.

Ein Türke im bunten Jogginganzug räkelt sich im Sofa und zündet sich eine Zigarette an. Neben ihm stehen Topfpflanzen, an der Wand hängen bunte Plakate. Noch eine halbe Stunde, dann muß er wieder in die Werkhalle.

Ein Beamter mit Flanellhose und blauem Hemd schlendert auf ihn zu. Seine Schicht hat gerade begonnen. Doch nicht mehr als „Wärter und Schließer“, der abgeschottet von den Häftlingen im Kabuff für Ordnung sorgt. „Die gibt es hier nicht mehr“, sagt Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff. „Ansprechpartner“ sollen die Beamten sein, und ganz lapidar „Justizvollzugsbeamte“ heißen.

Der „reformierte Strafvollzug“ macht es möglich: Acht Beamte betreuen seit nunmehr sechs Jahren 30 Häftlinge im Gruppenvollzug. Das Betreuer-Team ist direkt für seine Insassen verantwortlich: Vom Urlaub über Ausgang bis zum direkten Kontakt mit Behörde und Staatsanwalt. „Mit dem Titel 'Justizvollzugsbeamter' kann ich viel besser leben“, verrät der Mann. “Sonst wurden wir doch nur als die Wegschließer und Verwahrer degradiert.“ Was vorher der hierarchisch höhergestellte Stationsleiter entscheiden durfte, muß jetzt das ganze Team beraten. „Ein ganz schöner Kraftakt, der aber sehr zufrieden macht“, sagt einer der neuen „Teamer“. Viele seiner Kollegen aber klagen bei so viel Verantwortung über hohe Belastungen.

Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff dagegen ist mit seiner Reform mehr als zufrieden, die Mitarbeiter seien jetzt voll ausgelastet und gefordert. Hoff zeigt auf ein gezeichnetes Dreieck an der Wand, das jetzt auf dem Kopf steht: Die Basis steht jetzt oben, „wir haben die Hierarchie einfach auf den Kopf gestellt“, freut er sich. Der angenehme Nebeneffekt: In den beiden Hafthäusern der JVA, in denen nach einem Umbau für fünf Millionen Mark jeweils vier Vollzugsgruppen eingerichtet sind, fallen Stations- und Leiterstellen einfach weg. Einmal im Jahr werden die Beamten der „Basis“ auf Fortbildung geschickt, denn der Umgang mit den Häftlingen will gelernt sein.

Der frisch gekorene Teamer im blauen Hemd wundert sich nur darüber, daß ihm „seit ewigen Zeiten kein Sozialarbeiter mehr über den Weg gelaufen ist“. Die würden jetzt entlastet und nur bei schwierigeren Fällen geholt. Anstaltsleiter Hoff hat das Problem bereits erkannt: „Intensive Betreuung fehlt, vor allem bei Häftlingen mit ernsten Persönlichkeitsstörungen.“

Wenn der Verwahrer zum Betreuer wird, entsteht aus Anonymität intensiver Kontakt: Ab 16 Uhr schließen die Werkstore in der JVA, für die Häftlinge ist Freizeit angesagt. Waren in den alten schummrigen Trakten bisher 150 Häftlinge verwahrt, ging so mancher den Wärtern aus dem Weg. „Verkrümeln kann sich jetzt keiner mehr“, verrät Anstaltsleiter Hoff. Außerdem haben die Beamten 30 Leute besser im Griff als fünfmal soviel. „Wir finden jetzt zu zivileren Umgangsformen“, weiß Hoff.

Die Häftlinge dagegen scheinen mit diesen engen Gruppen nicht so ganz einverstanden zu sein. „Viel zu geschlossen“, findet einer, der noch drei Jahre in Oslebshausen bleiben muß. Eine engmaschige Gardine flattert vor seiner Zellentür und versperrt den Blick ins Innere: nur zwei Kuscheltiere liegen auf dem Schrank neben der Tür. „Offen ist besser, da kann ich wieder hingehen, wo ich will“, verrät er und steckt seinen Kopf aus der Tür. Früher konnte er noch Freunde treffen, das sei jetzt kaum mehr drin. Hoff dagegen weiß, daß vor allem Drogenabhängige die Ruhe als angenehm empfinden.

Wer als Beamter Streß mit Insassen vermeiden will, der strenge sich mächtig an, weiß Dr. Ulrich Reisig von der Angestellenkammer Bremen. „Im Dienstleistungsdenken steht die JVA deshalb weit vor dem Bremer Finanzamt“, stellt der Forscher in einer jetzt veröffentlichen Studie fest. Die Forschergruppe „Strukturwandel öffentlicher Dienstleistungsarbeit“ bescheinigt der JVA bremenweit die besten Noten, denn dort sei der Kunde wirklich König. Mit einem Unterschied zum genervten Bremer, der seit Monaten auf einen Bescheid wartet: „Die Gefangenen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden“, gesteht Heisig ein. Da zeige sich „die Ironie des Begriffs Dienstleistungsarbeit“.

Der Weg ins Finanzamt führt schnell wieder hinaus, wenn auch mit Grummeln im Bauch. In der JVA allerdings ist um halb sieben Uhr abends „Nachtverwahrung“ angesagt. Der 30jährige Häftling wird dieses Ritual noch viele Monate erleben: Sein „Ansprechpartner“ verschließt bis zum nächsten Morgen die Tür.

Katja Ubben