Bezirke zeigen Senat die gelbe Karte

Der Sozialausschuß des Rates der Bürgermeister fordert die Wiedereinführung der Sozialkarte. Die Bezirke wollen auch an den Verhandlungen mit der BVG beteiligt werden  ■ Von Dorothee Winden

Der Bürgermeister von Weißensee, Gert Schilling (SPD), zeigte gestern dem Senat und der BVG die gelbe Karte. Das gelbe DIN-A6-Kärtchen ist die BVG- Sozialkarte, deren Abschaffung zum 1. Juli die Bezirke in die Bredouille bringt. „Wir fordern, daß die Sozialkarte wiedereingeführt wird“, sagte Schilling nach der gestrigen Sitzung des Sozialausschusses beim Rat der Bürgermeister und hielt ein Exemplar hoch.

Das Gremium, in dem Bezirksbürgermeister und Sozialstadträte vertreten sind, forderte den Senat auf, unverzüglich die Verhandlungen mit der BVG wiederaufnehmen. Die Bezirke wollen künftig an den Verhandlungen mit der BVG beteiligt werden. Das Gremium benannte bereits vier Vertreter: die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), den Bürgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU), und die Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnisgrüne). Die PDS wird noch eine Vertreterin benennen.

„Diese vier sollen zusammen mit Staatssekretär Detlef Orwat das Bestmögliche herausholen“, hofft der Weddinger Bürgermeister Hans Nisblé. Bislang sei die BVG „so unbeweglich wie das Matterhorn“. Nisblé erinnerte daran, „wer für das Chaos verantwortlich ist“, nämlich Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU), der den Sparvorschlag unterbreitet habe. „Man hätte auf die damalige Sozialsenatorin Stahmer hören sollen“, so Nisblé. Die Politik müsse den Mumm haben, die Fehlentscheidung zu revidieren.

Die Stimmung in den Sozialämtern ist „explosiv“, sagte Bezirksbürgermeisterin Ziemer. Die MitarbeiterInnen müssen seit Anfang des Monats im Einzelfall prüfen, ob beispielsweise der Arztbesuch zu Fuß erledigt werden kann oder ob das Sozialamt einen Zuschuß zum BVG-Ticket bezahlen muß. Da müsse geprüft werden, ob der Arztbesuch in zwei Stunden zu schaffen sei und eine Fahrkarte genüge oder ob zwei Fahrkarten benötigt würden, schilderte Ziemer die bizarre Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Sachbearbeiter.

Das Verfahren sei nicht nur „unglaublich bürokratisch“, sondern führe auch zu Ungerechtigkeiten, weil die SacharbeiterInnen ihren Ermessensspielraum unterschiedlich anwendeten, kritisierte Bürgermeister Nisblé. Widersprüche und Verfahren vor dem Verwaltungsgericht seien die Folge. Der bündnisgrüne Bürgermeister von Tiergarten, Jörn Jensen, rechnete vor, daß die Mehrarbeit in seinem Bezirk mindestens drei Stellen ausmache. Eine konservative Schätzung, denn es wurde eine rasante Bearbeitungsdauer von sechs Minuten für „unkomplizierte Fälle“ zugrunde gelegt.

Deshalb fordern die Bezirke die Abschaffung der monatlichen Einzelfallprüfung. Selbst dann bleibt die „Sparmaßnahme“ ein Nullsummenspiel: Falls die Sozialkarte auf 65 Mark erhöht würde, müßten die Bezirke 35 bis 40 Millionen Mark ausgeben. Das entspricht den 40 Millionen Landeszuschuß, die der BVG gestrichen wurden.