■ Querspalte
: Expedition ins Tierreich

Die deutsche Vereinigung seit 1990 läßt sich mühelos in vier Phasen einteilen: Am Anfang hat der Westdeutsche den Ostdeutschen nicht verstanden. Dann, von 1991 bis 1992, hat der Westdeutsche den Ostdeutschen nicht verstanden. In den Jahren danach, bis zum Sommer 1996, hat der Westdeutsche den Ostdeutschen nicht verstanden. Jetzt beginnt die schlimmste Phase: Der Westen versucht, den Osten zu verstehen.

Seit Montag abend sind die „Tagesthemen“ auf Werbetour in Ostdeutschland. Vierzehn Tage lang berichtetet die ARD in ihrer Sendung etwa zehn Minuten aus den, wie sie es nennt, „neuen Bundesländern“. Der Ostmensch, der mehr zum Vergnügen und also zu Sat.1, Pro 7 und RTL neigt, soll kennenlernen, was es heißt, ein knallhartes Nachrichtenmagazin zu machen. Am Dienstag abend stand Sabine Christiansen mit wehendem Haar an der Mole in Warnemünde und stellte die Frage, die der Wind ihr gerade zutrug: „Wußten Sie eigentlich, daß Mecklenburg-Vorpommern auch ein wichtiges Agrarland ist?“ Wie das denn so plötzlich?

Am Tag zuvor war die Moderatorin in einen Keller in Wismar hinabgestiegen und hatte live von ihrer ethnologischen Entdeckungstour berichtet: „Nun schauen Sie, meine Damen und Herren, so schöne Keller gibt es in Wismar. Nicht alle Keller sind so schön, aber es gibt viele Keller.“ Und das in einem wichtigen Agrarland. Im Osten. In der ehemaligen DDR. Wahnsinn.

Nun schauen Sie, meine Damen und Herren, so schöne Sendungen gibt es in Hamburg. Nicht alle Sendungen sind so schön, aber es gibt viele Sendungen. „Weltspiegel“ zum Beispiel oder „Expeditionen ins Tierreich“. Morgen live aus Frankfurt an der Oder. Mit Heinz Sielmann. Wußten Sie eigentlich, daß der Stör auch ein wichtiger Fisch ist?

Der verehrte Genosse Honecker hat alles vorausgesehen. „Das Gute an den Westmedien ist“, meinte er, „daß man sie ein- und wieder ausschalten kann.“ Auch in einem Agrarland. Jens König