Keine Zusagen Benjamin Netanjahus

■ Auch gegenüber US-Präsident Clinton bleibt Israels neuer Regierender dabei: Den Nahost-Friedensprozeß mag er nicht

Washington (taz) – Er ist zweifellos ein Gast, den Bill Clinton lieber nicht hereingelassen hätte. Umso markanter wirkten die Eloquenz und die Selbstsicherheit, mit der Benjamin Netanjahu bei seinem ersten US-Besuch als neuer Premierminister Israels in Washington auftrat, um die neue Tonlage für das amerikanisch-israelische Verhältnis zu bestimmen: Als gehörte das Weiße Haus samt Pressecorps zu seinem Einzugsbereich, präsentierte der ehemalige US-Bürger am Dienstag seine Interpretation des Friedensprozesses im Nahen Osten. Wer in der Clinton-Administration oder unter jüdischen Lobbygruppen auf versöhnlichere Töne oder gar ein oder zwei konkrete Zusagen hinsichtlich seines zukünftigen Umganges mit der PLO und den derzeit wieder abgeriegelten palästinenischen Gebieten gehofft hatte, sah sich getäuscht. Netanjahu ließ keinen Zweifel, daß ihm dieser Friedensprozeß, „den ich von meinen Vorgängern geerbt habe“, nicht paßt, und er das Primat der Sicherheit Israels zu nutzen gedenkt, um in den Leerlauf zu schalten. An eine Fortführung der israelisch-syrischen Gespräche wagt in Washington derzeit niemand zu denken.

Im Gespräch mit Clinton weigerte sich Netanjahu aber auch explizit, ein Datum für den Abzug israelischer Truppen aus Hebron und anderen Teilen des Westjordanlandes zu nennen, zu dem sich Israel in den Osloer Abkommen verpflichtet hat. Das Versprechen, den Bau neuer jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten zu unterbinden, ließ er sich nicht abnehmen. Statt dessen wies Netanjahu darauf hin, daß während der letzten vier Regierungsjahre der Arbeitspartei die Bevölkerung in den bestehenden Siedlungen um 50 Prozent angewachsen sei. „Ich nehme doch an“, erklärte der Likud-Chef, „niemand erwartet, daß wir dahinter zurückbleiben.“

Einen möglichen Zeitpunkt – oder wenigstens die Notwendigkeit – eines Treffens mit PLO-Chef Jassir Arafat wollte Netanjahu ebensowenig zu Protokoll geben wie die Aussicht auf ein baldiges Ende der Abriegelung des Gaza- Streifens und des Westjordanlandes durch israelische Truppen. Erst wenn die palästinensischen Sicherheitsbehörden ihren Verpflichtungen zur Terrorismusbekämpfung ausreichend nachgekommen seien, so Netanjahu, könne er die Blockade lockern.

Nicht nur im politischen, sondern auch im ökonomischen Bereich hat der israelische Premierminister Distanz zu den USA signalisiert. Israel von US-Wirtschaftshilfe unabhängig zu machen, ist eines seiner Ziele – auch wenn dies leichter zu versprechen als umzusetzen ist. 1,4 Milliarden Dollar will Netanjahu für dieses Haushaltsjahr aus dem Gesamtbudget von 32,6 Milliarden streichen. Da ist die versprochene zivile Wirtschaftshilfe aus den USA in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar doch ganz praktisch. Auch im Militärbereich will und kann sich Netanjahu weiterhin auf Washington verlassen. US-Frühwarnsysteme gegen Raketenangriffe sollen demnächst in größerer Anzahl dauerhaft stationiert werden.

Zweifelhaft ist jedoch, ob die US-Strategie, Israels sicherheitspolitische Risiken in einem Friedensprozeß durch massive Wirtschafts-und Militärhilfe zu kompensieren, in Zukunft noch aufgehen wird. Für Bill Clinton, dessen Regierung enorm viel Energie und politische Reputation in den Friedensprozeß und die Koalitionsregierungen unter dem ermordeten Premierminister Jitzak Rabin und seinem Nachfolger Schimon Peres investiert hat, gab es nach dem Gespräch mit Netanjahu wenig Anlaß zu der Hoffnung, der Hardliner Netanjahu könnte sich schnell zu „Bibi“, dem Pragmatiker, entwickeln. Dies zum Gegenstand eines offenen Konflikts zu machen, will Clinton vor den US-Präsidentschaftswahlen im November vermeiden, weshalb er die Ausführungen des israelischen Premiers weitgehend unkommentiert ließ und ihm lediglich „sehr ausgeprägte Ansichten“ bescheinigte. Doch Clinton weiß spätestens seit Dienstag, daß er es – im Falle seiner Wiederwahl – mit einem israelischen Premierminister zu tun haben wird, der mit einem sympathischen Spitznamen, einem akzentfreien Englisch, einem ausgeprägten Talent für Polit-Entertainment in der US-Öffentlichkeit seine Position viel geschickter verkaufen kann als seine Vorgänger. Netanjahu, so schreibt die Zeitschrift New Republic, „mag der amerikanischste Premierminister sein, den Israel je hatte. Aber genau deshalb könnten auf die israelisch-amerikanische Liebesaffäre rauhe Zeiten zukommen.“ Andrea Böhm