Korruptionstendenz: Steigend

■ Bestechlichkeit und Vorteilsnahme in Hamburgs Öffentlichem Dienst / Generalstaatsanwalt warnt vor italienischen Verhältnissen Von Uli Exner

Arno Weinert nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Zahl der Korruptionsfälle in der Verwaltung wird größer,“ sagt der Hamburger Generalstaatsanwalt und fügt hinzu: „Auch in Hamburg sehen wir, daß es dabei oft nicht mehr um einzelne schwarze Schafe geht, sondern um ganze Verwaltungsbereiche.“

Der Mann weiß, wovon er spricht. Die Staatsanwaltschaft der Hansestadt ermittelt derzeit gegen eine Unzahl von Staatsbeamten und Angestellten wegen Bestechlichkeit oder Vorteilsnahme im Amt. Wieviele Verfahren es genau sind, hat noch niemand zusammengezählt, eine entsprechende Statistik fehlt.

Aber auch die unvollständige Liste der laufenden Verfahren ist beeindruckend. Ermittelt wird unter anderem:

– Gegen neun Beamte und vierzehn Angestellte der Ausländerbehörde, die Asylbewerbern gegen Cash zum Beispiel Aufenthaltsgenehmigungen erteilt oder ihnen auf Wunsch den vorläufigen Wohnort Hamburg zugewiesen haben. Fall-Tendenz, so Presse-Staatsanwalt Rüdiger Bagger, steigend.

– Gegen 38 MitarbeiterInnen der Wirtschaftsbehörde wegen Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Deponierung von Hafenschlick.

– Gegen sechs weitere MitarbeiterInnen der Wirtschaftsbehörde wegen Vorteilsnahme im Hafenbereich.

– Gegen drei Mitarbeiter der Baubehörde wegen Vorteilsnahme und/oder Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen.

– Gegen sechs Mitarbeiter des Unikrankenhauses Eppendorf im Zusammenhang mit der Vergabe von Reparaturaufträgen.

Nur ein kleiner Ausschnitt aus einem auch in Hamburg wuchernden Wust an Bestechlichkeit, den der Chef des Bundeskriminalamts, Hans-Ludwig Zachert, inzwischen für „sehr viel gemeinschaftsschädlicher als die Brutalo-Kriminalität“ hält? Zumindest „eine bedenkliche Entwicklung“, meint Weinert und plädiert dafür, „Sonderdezernate bei der Hamburger Staatsanwaltschaft einzurichten, die nur für Korruption zuständig sind“. Ohne Spezialisierung, detailliertes Fachwissen und dauernde Fortbildung sei dem „immer professioneller aufgebauten“ Korruptionsgeflecht zwischen „Politik, Verwaltung, Wirtschaft und möglicherweise auch organisierter Kriminalität“ langfristig nicht beizukommen. Italien läßt schön grüßen.

Doch von einer Aktion „Saubere Hände“ ist man in Hamburg weit entfernt. Vereinzelte Vorstöße vereinzelter Politiker enden bisher in den Schreibtischschubladen der Bürokratie. So hatte der inzwischen zurückgetretene Innensenator Werner Hackmann im Frühsommer vergangenen Jahres angeregt, die Hamburger Verwaltung künftig von einer „zentralen Ermittlungsstelle“ durchleuchten zu lassen.

Anlaß für Hackmanns Vorschlag war das Bekanntwerden der Korruptionsfälle in der Ausländerbehörde, die nach seiner Ansicht „nur die Spitze des Eisbergs im Bereich der öffentlichen Verwaltung insgesamt“ darstellen. Passiert ist seitdem – nichts.

Dabei würde nach Einschätzung des Generalstaatsanwalts eine verstärkte Bekämpfung der Korruption langfristig noch nicht einmal kassenwirksam werden. Innenrevision, verstärkte Kontrolle, spezialisierte Staatsanwälte – „natürlich,“ so Weinert, „kostet das Geld, man kann damit aber auch eine Menge sparen.“

Im Gegensatz zu den hessischen Kollegen hat der Hamburger Landesrechnungshof bisher nicht hochgerechnet, wieviel Geld dem Stadtstaat durch Unregelmäßigkeiten im Öffentlichen Dienst verlorengeht. Rechnungshofpräsident Hermann Granzow sieht dazu derzeit auch keinen Anlaß. Im Stadtstaat Hamburg, meint der oberste Ausgaben-Prüfer der Hansestadt, gebe es „weniger Schwachstellen“ als im Flächenstaat Hessen. Die hiesigen Beamten stünden schließlich „auch seitens der Presse unter sehr intensiver Beobachtung“.