Eine Oper des tödlichen Lebensmutes

■ Frido Mann hat eine Parabel über die Aufführungsgeschichte von Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“ 1944 in Theresienstadt geschrieben / Gleichzeitig ist eine neue Einspielung des Werkes erschienen

Wenn man heute nach Theresienstadt (Terezin) kommt, befällt einen zwangsläufig eine besondere Art der Beklemmung, denn Hitlers „Vorzeige-KZ“ im Norden Tschechiens ist das einzige heute bewohnte ehemalige Konzentrationslager. In den Gräben vor den monumentalen Mauern der Ende des 18. Jahrhunderts erbauten Festung wachsen Gras und Birken, die Häuser in der im strengen rechtwinkligen Gitter erbauten Stadt sind im schlechten Zustand, aber nicht uneinladend. Sie tragen noch die alten Blockbezeichnungen der Nazis und gelegentlich Schilder, die ihre Geschichte beschreiben. Der schöne große Platz in der Mitte der ehemaligen Garnisonsstadt mit der großen Garnisonskirche ist belebt von plärrenden Spatzen und Bewohnern und Gästen der Stadt, die meistens – wenn es nicht gerade die Besatzung eines deutschen Tourismus-Busses ist – die gedämpfte Lautstärke von traurigem Erinnern verbreiten. Einzeln oder in kleinen Gruppen stehen an der Kopfseite stets Menschen aus aller Welt und warten auf die Linienbusse nach Prag, Karlo Vivary oder Litomerice.

In einem dieser Busse, auf dem Weg nach Terezin, beginnt die Parabel von Frido Mann Terezin oder Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, die jetzt im Hamburger Lit-Verlag erschienen ist. Mann, ein Enkel von Thomas, entspinnt hier – erzählt von einem Journalisten auf Recherche-Reise – um das Gerüst einer wahren Begebenheit eine halbfiktive Erzählung über das Leben in dem Konzentrationslager.

Der historische Hintergrund der Handlung von Terezin ist die Aufführungsgeschichte von Viktor Ullmanns Oper Der Kaiser von Atlantis, die in Theresienstadt bis zur Generalprobe einstudiert und dann von der SS abgesetzt wurde. Der Text der Oper erzählt von der Abdankung des Todes, der dem Diktator Overall die Gefolgschaft verweigert und niemanden mehr sterben läßt, nachdem dieser den „segensreichen Krieg aller gegen alle“ verhängt hat. Erst als der Führer „Überall“, dessen Macht ohne die Fähigkeit zu morden zerstört ist, einwilligt, sich als erster dafür zu opfern, daß der Tod wieder seine Arbeit aufnimmt, „befreit“ der Schnitter die Menschen wieder vom Leben. Nach Ansicht der Generalprobe im Frühherbst 1944 deportierten die Nazis den Komponisten, den Librettisten Petr Kien, sowie alle anderen, die an dem Stück beteiligt gewesen waren, in die Vernichtungslager. Zu offensichtlich und mutig war die Kritik des Librettos an der Vernichtungspolitik des Hitler-Regimes, so daß man einen Aufstand der Lagerinsassen befürchtete. Allein der Darsteller des Todes, Karel Berman, überlebte.

Mann benennt den Ort Theresienstadt nicht namentlich und verändert auch die Biografien der Beteiligten sowie die Einzelheiten des Geschehens um damit, wie er schreibt, „tiefere Zusammenhänge aufzuzeigen“, ohne allerdings irgendeinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, worauf er sich bezieht. Mehr wohl um zu vermeiden, daß seine Parabel den Anschein einer tatsächlichen historischen Rekonstruktion bekommt, die heute nicht mehr möglich ist, wird aus der Oper ein Schauspiel und aus den tatsächlichen Mitwirkenden am Kaiser von Atlantis detailliert beschriebene Romanfiguren. Sein Schauplatz heißt – entlehnt aus einem Gedicht von Leo Strauss – „Als ob“ und diese Bezeichnung überschreibt präzise die ganze grotesk-grausame Wirklichkeit eines Konzentrationslagers, in dem es ein Alibi-Kulturangebot und unzählige Attrappen gab, die die internationale Öffentlichkeit über die Wirklichkeit der nationalsozialistischen Vernichtung der Juden täuschen sollten (und konnten).

In Form eines Erlebnisberichtes des einzigen Überlebenden des damaligen Ensembles – Mann nennt ihn Paavo Krohnen –, der von dem erzählenden Journalisten aufgezeichnet wird, breitet Mann ein Panorama des Grauens aber auch des Mutes, sich zumindest subtil zur Wehr zu setzen, aus. Er erzählt die Wochen zwischen der Ankunft Krohnens in Terezin bis zum Abbruch der Proben. Der alltägliche Überlebenskampf in den Unterbringungen und auf den Straßen, bei der Essensausgabe und bei der Arbeit im Krematorium, das Erleben von Deportationen und Massakern, die Entwürdigungen und Demütigungen, die ewige Angst und in all diesem unvorstellbaren Grauen der Versuch der Gefangenen, menschlich zu bleiben, werden von Mann so eindrücklich beschrieben, daß die Lektüre dem Leser einige Kraft abverlangt.

Im Zentrum des Textes steht aber die Auseinandersetzung des Ensembles und der anderen Mitwirkenden an dem Stück über den Textinhalt und seine Konsequenzen. Die Frage, wie weit darf beziehungsweise muß man gehen in der Deutlichkeit der Botschaft, reflektiert den Kampf zwischen Würde und Überleben, zwischen Selbstverleugnung und selbstmörderischer Courage, den sicherlich nicht nur Künstler täglich mit sich selbst gefochten haben, in einer sensiblen Darstellung, die keinerlei Schuldfragen stellt. Dabei flicht der Professor für Medizinische Psychologie als Nebengeschichte die schwierige Kommunikation zwischen dem Erzähler und dem Aufzeichnenden ein, die von Krohnens Flucht vor traumatischen Erinnerungen immer wieder unterbrochen wird.

Parallel ist in der Decca-Reihe „Entartete Musik“, die sich der Wiederentdeckung damals verfemter Musik verpflichtet hat, eine neue Einspielung der Ullmann-Oper erschienen. Lothar Zagrosek hat mit dem Gewandhausorchester Leipzig die ergreifende Dramatik der Komposition, die, im Bewußtsein, für ein völlig gemischtes Publikum bestimmt zu sein, sehr viele populäre Elemente vereinigt, überzeugend eingefangen. Eine gemeinsame Anschaffung empfiehlt sich. Till Briegleb

Frido Mann - Terezin; Lit-Verlag, 280 S., 38,80 Mark

Viktor Ullmann - Der Kaiser von Atlantis; Decca