Ein genialer Physicus, Reformer und Aufklärer

Am 28. April 1772 wurde Johann Friedrich Struensee in Kopenhagen enthauptet. Noch immer geistert durch die Kulturgeschichte, daß er dieses schmähliche Ende einem Verhältnis mit der dänischen Königin Caroline Mathilde zu verdanken hatte. Daß der Physicus zu Altona und spätere Geheime Kabinettsminister Dänemarks vor allem ein genialer Arzt und revolutionärer Reformer war, daran erinnert in Hamburg – neben der kleinen Struenseestraße – eine Gedenktafel, die die Hamburger „Patriotische Gesellschaft von 1765“ gestern enthüllte: An der Altonaer Kirchenstraße 3-5 stand das Haus, in dem der große Aufklärer über zehn Jahre lebte.

Mit 20 Jahren, 1758, wird Struensee Stadt-Physicus und Armenarzt in Altona, zugleich Landphysicus der Herrschaft Pinneberg. Von Anfang an schwimmt der Freidenker gegen den Strom. Er kämpft nicht nur gegen Aberglauben und Quacksalberei, gegen Bigotterie und Zensur, er erkennt auch die Grundlagen der Hygiene, die Infektionswege ansteckender Krankheiten und moderne Wege ihrer Behandlung. Trotz aller Widerstände von Ärzteschaft und Geistlichkeit ist der junge Physicus bald berühmt. Seine Methode der Pockenimpfung wird sogar Mode am englischen Hof. Oxford und Cam-bridge machen ihn gar zum Ehrendoktor. 1769 wird er unter dem Titel „Königlicher Vorleser“ Leibarzt des Dänischen Königs Christian VII., zwei Jahre später Geheimer Kabinettsminister des immer stärker an Schizophrenie leidenden Herrschers.

Nun hat Struensee die Macht im Staate Dänemark und geht sogleich ans Reformieren. Die absolute Pressefreiheit wird verkündet, die Folter abgeschafft, Schul- und Armeewesen werden verbessert, nichteheliche Kinder den ehelichen gleichgestellt. Er sorgt für den Ausschluß unwürdiger Personen (und das sind sehr viele) aus Ämtern, verbietet die Annahme von Bestechungsgeldern, den Sklavenhandel in den Kolonien, erläßt Armengesetze und macht aus ungenutzten Kapellen menschenwürdige Hospitäler für Geschlechtskranke. Wegen einer drohenden Hungersnot stellt er Schnapsbrennen aus Roggen unter Strafe – insgesamt erläßt er in den hastigen anderthalb Jahren seiner Amtszeit etwa 1800 Kabinettsorder.

Zu viel und zu energisch. Vom Spottnamen „der geschäftige Herr Vielgeschrey“ dauert es nicht lange bis zum offenen Haß. Adel und Klerus, arg gerupft in ihren Privilegien, ist es ein leichtes, das Volk gegen den aufzuhetzen, der kein Dänisch spricht und das Schnapsbrennen verbietet, und den geisteskranken König von der Untreue des inzwischen in den Grafenstand erhobenen allmächtigen Ministers zu überzeugen. Nennt man doch die jüngste Tochter des Königspaares in Salons und Spelunken bereits bei dessen Namen.

Noch nicht 35jährig stirbt Johann Friedrich Struensee, der nach seinem Biographen Stefan Winkle „mit seinen aufsehenerregenden Reformen auf unblutige Weise die Maßnahmen der Französischen Revolution vorweggenommen hatte“, unter dem Fallbeil. Ein großer Teil seiner Erlasse wurde schnell rückgängig gemacht, sein Wissen, seine Erkenntnisse und Verdienste wurden hinter dem Skandal um sein Ende weitgehend vergessen.

Petra Oelker