Früher: ein Ziel

■ In „Die kleine Apokalypse“ macht sich Constantin Costa-Gavras über neudepressive Exkommunisten lustig

Damals. Ja, damals haben Jacques und sein Freund wohl auf den Barrikaden gestanden. Heute kokettieren sie allenfalls auf Stehparties mit ihren vergangenen Heldentaten. Damals, das war das Jahr 1968. Da hatten sie noch Ideale, einen Glauben, ein Ziel. Heute haben sie eine schöne Wohnung und ein Magengeschwür (wie Jacques Freund). Oder sie haben Schlafstörungen (wie Jacques selbst). Exkommunistisch, neudepressiv: So werden Jacques und sein Freund in einer Szene von Die kleine Apokalypse, dem neuen Film von Constantin Costa-Gavras, beschrieben.

Aber mit den neuen Zeiten arrangiert haben sie sich natürlich längst. Toskana-Fraktion, dies Wort fiele einem zur Charakterisierung der Partygäste ein, würde die Party, mit der der Film beginnt, in Deutschland spielen. Jedoch: Etwas fehlt. Das Feuer vielleicht, die alte Leidenschaft. Das Ziel auf jeden Fall.

Daß es anderen Menschen allerdings noch schlechter geht, können Jacques und sein Freund nicht bestreiten. Dem polnischen Schriftsteller Stan zum Beispiel. Der hat sich bei Jacques Freund in einer Kammer unterm Dach eingenistet. Abends zieht er sich mit einer Flasche Wodka zum Schreiben zurück. Was er schreibt, wirft er weg. Und statt zu schreiben, läßt er sich sowieso lieber ablenken.

Stan lebt, munkeln Jacques und sein Freund, als gestandener polnischer Kommunist im Pariser Exil. Und sehr schnell haben sie eine Erklärung für den Unfall, bei dem Stan von der Leiter fällt und merkwürdigerweise ein Kabel um den Hals trägt: Das kann nichts anderes als ein Selbstmordversuch sein! Was soll denn ein Kommunist heutzutage auch sonst tun? Daß Stan einfach Faxen macht, kommt ihnen nicht in den Sinn. Mit diesem Mißverständnis nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Denn Jacques und sein Freund beschließen, Stan zu helfen, auch wenn der sich partout nicht helfen lassen will.

Filme wie Der unsichtbare Aufstand oder Z machten den Regisseur Costa-Gavras in den 70er Jahren zu einer Ikone des europäischen politischen Films. In den 80ern ging Costa-Gavras nach Hollywood und hatte nur noch Achtungserfolge. Mit Die kleine Apokalypse, inspiriert von dem gleichnamigen polnischen Roman Tadeusz Konwickis, ist er nach Europa zurückgekehrt. Es ist ein wunderbar leichter Film geworden. Eine hübsche, kleine Studie über das Seelenleben heutiger Exlinker; eine bitterböse Satire über heutige Medien; eine unangestrengte Parabel dazu. Deren Moral ließe sich so zusammenfassen: Hüte dich, wenn andere dir helfen wollen. Für alle, die diesen Film zur Abrechnung von Costa-Gavras mit der eigenen politischen Vergangenheit verkürzen wollen, sei allerdings gesagt: Wer heute so selbstironisch sein kann, muß schon damals einen klaren Kopf gehabt haben.

„Ich brauche immer was, wofür ich mich engagieren kann. Sonst ist mir langweilig“, sagt Jacques. Also engagiert er sich – für Stan. Seine Bücher sollen veröffentlicht werden – auch wenn es um den Preis geschieht, daß Stan sich aus vergeschobenen Protest-, tatsächlichen PR-Gründen mal eben vor dem Petersdom selbst verbrennen soll. Jacques spürt wieder das Feuer in sich – und Stan soll es zu spüren kriegen.

Die leichte Hand, die Costa-Gavras in diesem Film beweist, hält die Szenen in der Schwebe. Mehr als ein Traktat ist Die kleine Apokalypse ein Schauspielerfilm – allen voran brilliert der tschechische Regisseur Jiri Menzel als Stan. Er, der Tolpatsch, der einfach nur in Ruhe gelassen werden will, auf der Flucht vor seinen vermeintlichen Wohltätern, das sind starke Szenen.

Dirk Knipphals

3001, 20.30 Uhr