■ Kolumne
: Songs übers schöne Wetter Von Detlef Diederichsen

Werde ich gefragt, was eigentlich das Thema dieser monatlichen Kolumne ist, gerate ich ins Stottern. Auf der Leinwand meines „Gehirnkinos“, wie es mein Deutschlehrer, Herr Juhl, zu nennen seinen Schülern beibrachte, erscheint ein großes, rotes Fragezeichen, eingerahmt von blauen und gelben Streifen. Welche deutschen Wörter entsprechen diesem Bild? Heute war also wieder Fragezeichen-Tag. Ich sprang morgens aus dem Bett und schaute mich um. Worüber schreiben? Über Mineralwasser, Kronkorken oder Menschen, die volle Aschenbecher an verborgenen Winkeln meiner Wohnung verbergen, so daß ich sie erst nach Monaten finde? Alles langweiliger, toter Blödsinn, ohne irgendeinen Bezug zu jenem Teil der Menschheit, der außerhalb meiner Wohnung lebt. Ich horchte in mich hinein, um Zugang zu jenen größeren Themenbereichen zu finden, die mich so zur Zeit beschäftigen. Aber gibt es dort draußen, so fragte ich mich zweifelnd, wirklich irgend jemanden, der von mir über Wrestling, Fingernägelwachstum, unerwiderte Liebe oder Tomatenzucht vollschwadroniert werden möchte – bei diesem schönen Wetter?

Schönes Wetter? Moment – das wäre doch ein Thema! Ein Thema, bei dem sich auch ohne größere Umwege der Bezug zur Popmusik herstellen läßt, den die Redaktion wünscht. Zum Beispiel über Songtitel wie „The Weather Is Here, Wish You Were Beautiful“ (Jimmy Buffet – immer für schön zu zitierende Songtitel gut). Die alte Wortmühle begann zu rattern: Ich könnte erzählen von meinen jahrelangen Wetteraufzeichnungen; daß 1994 der 23. April genauso ein erstklassiger, warmer Frühlingstag war wie 1995; wie sehr man ein anderer Mensch wird, wenn die Jahreszeit wechselt; ich könnte die Frage aufwerfen, ob die Lebensabgewandtheit der Deutschen etwas damit zu tun hat, daß sie gezwungen sind, sich drei Viertel des Jahres in stinkigen Höhlen aufzuhalten; ich könnte das Hamburger Klima mit dem in anderen deutschen Städten vergleichen, daraus interessante Schlüsse ziehen und sogar noch einen kleinen Exkurs über das interessante Phänomen des Lokalpatriotismus einbauen, ausgehend von der Beobachtung, daß auch die antipatriotischen Gesellen oft und gerne lokalpatriotische Gesinnung zeigen. Am Ende würde ich versuchen, einen Bogen zurück zu Country-Songs zu schlagen, die sich des Themas angenommen haben, „Bad Weather“ von der Illinois Speed Press (der ersten Band des späteren Poco-Gitarristen und -Sängers Paul Cotton) etwa, oder „The Weatherman“ von George Jones ...

Da tippte mir mein innerer Advocatus Diaboli auf die Schulter. Ich sah ihn an. Er sagte kein Wort, aber das war auch nicht nötig. Seinem Blick entnahm ich die Wörter, die auszusprechen er für überflüssig hielt: Albern. Eitel. Geschwätzig. Kindisch. Uninteressant. Ich ging auf den Balkon, um die Fortschritte meiner Tomatenpflanzung zu untersuchen.