Unterwassergeschwindigkeiten

■ PJ Harvey und Tricky nähern sich von zwei Seiten einer Stimmung

Im Bauch des Walfisches ist das Leben langsam, bedächtig und absonderlich. Mangels anderer Attraktionen geht man auf den Deichen gegen die Flut der Erinnerung spazieren und singt komische Lieder. Wenn einen dann der Schluckauf des übergroßen Organismus, dessen Existenz man schon lange vergessen hatte, wieder an das Licht und vor die Augen den Menschen spült, hat alles, was man tut, Unterwassergeschwindigkeit und dunkle Tiefe.

Hier vereinen sich die phantastischen Biografien von Polly Jean Harvey und Tricky. Beide bekleidet immer noch die versunkene Nässe einer unterirdischen Existenz und das ozeanische Gurgeln der Einsamkeit, das sich in einem leckeren Tran an Tönen, Verrücktheiten und Atmosphäre verwandelt. Auf Beats, die, in Schritte umgewandelt, den Gang um den Block zum Tagesausflug werden ließen, erzeugen beide massige Seelenlandschaften. Daß frau dabei vom Blues – aus einem Orchester mit Nick Cave und Patty Smith fliehend – ebenso den Weg in die wunderliche Welt der Befreiung von Klischees findet wie mann vom Dancefloor, rechtfertigt die Verbindung beider völlig ausreichend.

PJ Harveys spartanische Songarrangements auf der mittlerweile dritten Vollproduktion To Bring You My Love und Trickys maßstabsloses Verziehen von Tanzstücken in alle möglichen Dimensionen auf seinem Debüt-Werk Maxinquaye kreuzen sich ohne stilistische Konkurrenz und führen die Klientel von zwei ganz unterschiedlichen Musikrichtungen zusammen. Dabei ist bei beiden tatsächlich kaum etwas homogen.

Insbesondere das Material, das Tricky für seinen Collagengroove mit Hit-Qualitäten (etwa das Public Enemy-Cover „Black Steel“) zusammensortiert, ist so reichhaltig, daß es das Rätsel des Ex-Massive-Attack-Sideman bleibt, wie daraus eine so stimmige Produktion werden konnte. Wobei der rauh-erotische Kratzklang seiner Sängerin Martina seinen gehörigen Teil dazu beiträgt, daß niemand diese Platte im Magen des Wals vergessen würde. Zumindest niemand, der sich darauf einläßt, daß auch der Reifungsprozeß dieser Musik im Hirn langsam vonstatten geht. Einmal reinhören genügt nicht. Till Briegleb

3. Mai, Gr. Freiheit, 21 Uhr

Die Hochkultur schwappt mal wieder runter: PJ Harvey als Ophelia