„Ich lebe mit der Elbe“

Vom Softwaremanager zum Aalfischer: Mit Lothar Buckow auf dem Fluß war  ■ Philip Banse

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ie Möwen wittern leichte Beute. Als das kleine Fischer-Motorboot um die Mole kurvt und auf die breite Elbe rausfährt, nehmen sie die Verfolgung auf. Lauernd steht der Schwarm über der Gischt.

Es ist sieben Uhr morgens. Der Fluß ist so grau wie der Himmel. Es regnet.

Zum „Job Elbe“ gibt es für Lothar Buckow keine Alternative. Aber bei so einem Wetter aus dem Bett kommen und auf die Elbe fahren, „das ist hart“, sagt er. Der 38jährige ist einer von sechs Elbfischern vor Hamburg. Der einzige, der seine Aale noch mit Reusen fängt.

Aus dem Dunst taucht die Silhouette eines Kutters auf. Die „Odin“. Wie Flügel hängen die Netze schlaff zu beiden Seiten im Wasser. Rotaugen, Brassen und Kaulbarsche: Buckow muß für seine Reusen Köderfische von seinem Kollegen, dem „Ossi“ Reinhard Scheel, holen, weil er seine eigenen Netze vorige Nacht nicht in die Flut gehängt hat.

Die beiden Fischer sind zufrieden, als die Fische vor ihnen in der „Bütt“ zappeln: „Die seh'n aber gut aus“, murmelt Buckow. Der von Geschwulsten entstellte Elbfisch, einst Sinnbild für den nahen Tod der Elbe, ist Geschichte. Geschwüre seien passé, sagt Buckow. Das könne sich jeder angucken, „gar kein Thema“. Sogar Lachse und Störe gehen den Fischern ins Netz, „seit die DDR eingemeindet ist und die Dreckschleudern dicht sind“. Diese Edelfische sind für Lothar Buckow und seine Kollegen „klare Zeichen, daß die Elbe sauberer wird“.

Thomas Gaumert, Fischereibiologe bei der Wassergütestelle Elbe, bestätigt den Trend: „Die gesamte Fischpopulation in der Elbe ist im Aufstieg begriffen.“ Noch 1984 verschmutzten beispielsweise 28 Tonnen Quecksilber die Elbe. 1995 trieben nur noch 3,1 Tonnen des Schwermetalls den Strom runter. Ähnliches gilt für andere Gifte: Das Lösungsmittel Trichlormethan, das in Farben und Lacken vorkommt, ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als das Dreißigfache von 14 Tonnen auf 0,43 Tonnen zurückgegangen.

Die Möwen stürzen sich auf die zuckenden Restfische, die zum Aalköder nicht taugen. Lothar Buckow schmeißt sie zurück in den Fluß und klettert mit dem Futter wieder in sein Motorboot.

Es regnet immer noch, und der Fischer zieht sich den Rollkragen bis unters Kinn. Ölhose, die zerzausten Haare und Buckows Gesicht – alles naß, alles glänzt. „Ich lebe mit der Elbe“, sagt er. Gutgelaunt und mit einem Blick, wie nur Steuermänner ihn haben, lenkt Buckow das Boot zur Strommitte, in Richtung der Reusen.

Der beste Köderfisch sei immer noch der Stint, erklärt er. Wenn der in den feinen Maschen seiner selbstgebauten Reusen liege, könne kein Aal widerstehen: „Den riecht der.“

Im Sommer ist die Elbe voll von diesen begehrten Kleinfischen. Dann lebt Buckow vor allem auf seinem zehn Meter langen Kutter. „Nußschale“ nennt er ihn. In dieser Zeit geht's an seine Substanz: Alle sechs Stunden, jeweils bei Hoch- und Niedrigwasser, zwei Stunden arbeiten – Netze leeren und neu aussetzen. Vier Wochen lang. Nie ausschlafen. Irgendwann sei er dann „alle“, einfach so müde, daß er von einem Wecker nicht mehr aufwacht. „Deshalb hab' ich sechs von den Dingern an Bord.“ Traumjob Fischer? Er zögert. Als er noch Softwaremanager war, erzählt er, habe er den ganzen Tag vorm Computer gesessen. Mit seiner Muskelastrophie, einer Krankheit, bei der nichtbeanspruchte Muskeln verkümmern, sei das aber auf Dauer nicht möglich. Und weil er eh schon immer seinem Vater beim Fischen geholfen hat, sagte der Arzt irgendwann: „Lothar, geh' auf die Elbe, werd' Fischer.“ „Das hab ich gemacht“, sagt er und lacht.

Jetzt hat er das, wovon Softwaremanager nur träumen können – ein halbes Jahr Urlaub. Im Winter wird nicht gefischt. Schön in Florida am Strand liegen – das lasse er sich gefallen. Das Wichtigste aber sei die Unabhängigkeit. „Ich fahre raus, wann ich will, bin mein eigener Herr“, sagt er. Ist das Geld knapp, wird mehr gefischt.

Gischt spritzt über den Bug, wenn das Boot in eine Welle fährt. Zügig steuert Lothar Buckow einen Kanister an, der in der Elbe schwimmt. 15 Meter unter ihm liegen aufgezogen an einem langen Seil die Reusen auf dem Elbgrund. Sechzig dieser einen Meter langen Netzröhren hat er ausgelegt. Zu mehr reicht das Futter nicht.

Nach den ersten Reusen ist klar: der Fang wird mager. Obwohl im Frühjahr Massen junger Aale die Elbe hochziehen, schlängeln sich heute nur ein paar Winzlinge in den Reusen. Denn bei elf Grad Wassertemperatur in der Elbe ist der Aal träge, frißt wenig und „verkrümelt sich im Schlick“. Doch selbst wenn Buckow fette Beute macht, landet die nicht auf hanseatischen Sonntagstafeln.

Das Veterinäramt findet in Aalen aus der Elbe noch immer zu viel Quecksilber und Hexachlorbenzol (HCB), ein krebserregender Grundstoff vieler Pestizide. Da aber den Fischern Strafe droht, wenn der Fisch, den sie verkaufen, vergiftet ist, weil er in verdrecktem Wasser schwimmt, existiert ein „faktisches Verkaufsverbot“ für Elb-aal, wie Biologe Gaumert es nennt.

Könnte Buckow seine schleimige Ware „wie früher“ auf dem Fischmarkt feilbieten, würde er für ein Kilo Aal 20 Mark einstreichen. Die Aalversandstelle des Deutschen Fischereiverbandes in Halstenbek zahlt nur acht Mark. „Finanzeinbruch“ nennt Buckow das. Über Geld redet er nicht. Nur soviel: Seinen gesamten Fang, etwa fünf bis zehn Tonnen Aale im Jahr, liefere er in Halstenbek ab. Die „Halstenbeker“ setzen die Tiere in Flüssen aus oder verkaufen sie an Zuchtstationen, wo dann die Aale heranwachsen, die im Handel landen. Doch Lothar Buckow ist optimistisch. In ein, zwei Jahren, glaubt er, werde der Aal wieder „freigegeben“, dann brächen bessere Zeiten an.

Thomas Gaumert nennt andere Zahlen. Fünf bis zehn Jahre dauere es sicher noch, bis Elbaal wieder eßbar sei. Für den Aalfan Buckow ist er das schon heute. Er ißt Fisch aus der Elbe und räuchert ihn auch für sich. „Wildfisch“, sagt der vitale Fischer, „eß' ich einfach lieber als Fischstäbchen.“ Dann stellt er den Motor aus und läßt das Boot an den Kanister herantreiben. In aller Ruhe zieht Buckow das Boot am Seil entlang, holt Reuse für Reuse aus der Elbe, leert sie aus und wirft sie mit neuem Köder wieder über Bord.

Dunkle Wolken hängen über dem Fluß, nur im Norden ein heller Horizont. Ostwind treibt den Regen elbabwärts. „Fischerwetter“. Hier draußen an der frischen Luft bei den Möwen und der Ruhe machen „wir Elbfischer uns Gedanken über Gott und die Welt“. Da kommt er ins Erzählen.

Einen „Kutterkrieg“ gebe es, wenn die Holländer kämen, weil sie in der Nordsee nichts mehr fangen. Es sei aber alles ganz einfach: Man stellt sich einfach vor den Eindringling und fischt ihm die Fische vor der Nase weg. „Dann ist der morgen wieder zu Hause.“

Der Buckow ist entschlossen, sich zu wehren. Sei es „der Holländer“ oder die Elbvertiefung, gegen die er klagt – sechs Elbfischer frage doch niemand. „Aber irgendwann reicht's halt.“

Mit der Aalfischerei könnte es bald vorbei sein. Jörg Rosengarten, Leiter der Aalversandstelle, beobachtet einen „dramatischen Rückgang der Glasaalbestände vor den europäischen Küsten seit Ende der achtziger Jahre“. Die Menge dieser drei Jahre alten, noch durchsichtigen Aale, die deutsche Flüsse hochziehen, sei „von 100 auf Null“ gefallen. Genaue Zahlen über den Rückgang gibt es noch nicht. Doch stehe „außer Zweifel“, so Thomas Gaumert, „daß der gesamte europäische Aalbestand gefährdet ist“. Zwei Theorien erklären dieses Phänomen.

Aale werden an zwei Orten der Erde geboren – in der karibischen Sargasso-See und im Japanischen Meer. Elbaale kommen aus der Karibik. Der Golfstrom treibt die noch glasige Brut in drei Jahren von den Laichgebieten bis vor europäische Küsten. Hier fangen die Tiere an zu fressen und wachsen, um nach manchmal erst siebzig Jahren als „geschlechtsreife Triebmaschinen“, wie Gaumert formuliert, ihre letzte Reise anzutreten – 6000 Kilometer zurück zum Ursprung, in die Karibik. Dort ablaichen und sterben, das Lebensziel aller europäischen Aale. Auf diesen letzten 6000 Kilometern ernähren sich die Tiere nur von ihrem eigenen Fett.

Die „Selbstvergiftungstheorie“ glaubt, daß sich die Aale selbst vergiften, weil sich im Fett über all die Jahre etliche Gifte gesammelt haben. Theorie Nummer zwei: Belegt ist, daß 50 Prozent der Aale von einem Parasiten befallen sind, dem Schwimmblasenwurm. Dieses Tier „verschwartet“ die Schwimmblase des Aals, mit der er Druck und Schwimmhöhe regelt. In Flüssen ist diese Blase unbedeutend. Im Atlantik, den Aale in bis zu 4000 Meter Tiefe durchschwimmen, ist sie lebenswichtig. Kann die Blase sich nicht mehr dehnen, stirbt der Aal. Bis eine Tierart ganz verschwindet, müsse allerdings viel passieren, ist Gaumert überzeugt. „Aber in fünf Jahren wird's spannend.“

Die letzte Reuse ist eingeholt und mit neuem Köder bestückt. „Na.“ Ein wenig müde schaut Lothar Buckow in die halbleere Bütt: „Das war gonnix.“

Am Ufer kommt der 34 Meter hohe Leuchtturm in Sicht. Sein Vater hat in ihm seit Kriegsende gearbeitet und nur nebenbei gefischt. Sechs Kinder waren sie zu Hause: „Jede Nacht war der nicht im Turm“, sagt sein Sohn und grinst. „Aber da oben im Leuchtturm sitzen, bißchen auf die Elbe gucken und aufpassen, daß das Licht nicht ausgeht – das wär auch 'n Job.“