Nachgefragt: „Voneinander lernen“
■ Wie die Bremer Stahlwerke und Sidmar in Gent in direkten Austausch kommen
Jacques Derycke ist technischer Vorstand der Sidmar Stahlwerke in Gent und einer der treibenden Kräfte für die enge Zusammenarbeit zwischen den Hütten in Gent und in Bremen (vgl. Seite 32). Im Vorstand ist er für den „Benchmarking“ genannten direkten Austausch zuständig.
taz: Was heißt Benchmarking?
Jacques Derycke: Bench ist ein Ziel, das hoch angesetzt wird. Beim Benchmarking nehmen wir das Beste von dem einen Unternehmen und das Beste von dem anderen, und das wird gegenseitig als Ziel gesetzt.
Für das Benchmarking haben Sie keine Unternehmensberatung engagiert, sondern bringen einfach die Leute in den beiden Stahlwerken zusammen und sagen: Macht mal. Warum dieses Vorgehen?
Ich denke, daß man die Leute, die die Organisation, den Erfolg, die Qualitätsprobleme und auch ihre Kostenstruktur kennen, zusammensetzen muß. Die machen dann aus, was verbessert werden kann. Dafür müssen wir keinen Dritten hinzunehmen.
Ein Ziel dabei ist ja auch, daß sich die Leute aus beiden Werken besser kennenlernen. Wenn sie verpflichtet sind, gemeinsam über Stärken und Schwachstellen nachzudenken, dann klappt das ausgezeichnet. Gerade weil kein Dritter dabei ist, findet das in einer sehr offenen Atmosphäre statt.Am Ende gibt es auch keine Bewertung nach dem Motto: Du bist besser, und Du bist schlechter. Wichtig ist, daß die Leute begreifen, was das Ziel dabei ist: nicht zu beweisen, daß man besser ist, sondern voneinander zu lernen.
Jetzt gehören die beiden Stahlwerke zwar zum gleichen Unternehmen, aber das muß ja nicht immer so bleiben. Wenn man seine letzten Geheimnisse verrät, macht man sich in einer späteren Konkurrenzsituation womöglich selber Schwierigkeiten...
Ich glaube nicht, daß das eine Rolle spielt. Die Leute wissen, daß wir mit Sidstahl einen gemeinsamen Verkauf haben. Ob dort Stahl aus Bremen oder aus Gent verkauft wird, ist egal. Wir dürfen das nicht als Konkurrenz sehen, und das passiert auch nicht. Wir haben keine Geheimnisse mehr voreinander.
Wenn es Konkurrenz gibt, dann in dem Versuch, daß man es noch besser macht als in dem anderen Werk. Aber dann kommt wieder ein Bench und man gibt das Wissen an das jeweils andere Werk weiter. Die Leute sehen sich jeden Monat, da wird über alle Probleme diskutiert.
Jedermann denkt natürlich erstmal, er verliert bei einer Übernahme seines Unternehmens etwas. Was man dabei gewonnen hat, wird nicht beachtet. Das ist menschlich.
Der Aufwand für das Benchmarking ist doch gewaltig. Für jedes Treffen sitzen Sie für Hin- und Rückfahrt 14 Stunden im Zug, da gehen zwei Arbeitstage verloren. Lohnt sich das?
Nein, das dauert nur einen Tag. Da chartern wir ein Flugzeug, die Mitarbeiter werden morgens abgeholt, und abends um sechs oder sieben sind die wieder hier. Verlorene Zeit ist das bestimmt nicht, selbst wenn es zwei Tage dauert. Der direkte Austausch soll deshalb auch auf Dauer erhalten bleiben.
Fragen: Dirk Asendorpf
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