Der Berg ruft, der Motor antwortet

Scheitert der Radler an Steigung und Gegenwind, hilft der Motor aus. Volle Fahrt mit halber Kraft bietet das ELO-Bike. Der Nachteil: Die Akkus bringen das Rad auf 30 Kilo Eigengewicht  ■ Von Martin Kaluza

„Heute isser fällig!“ hören wir Erwin G. unter Aufbietung aller ihm zur Verfügung stehenden Kräfte röcheln, „heute pack' ich ihn!“ Der Schweiß tropft von der vor Anstrengung gekräuselten Stirn auf das Nasenbein. Der Gegenwind ist stärker geworden und zieht Erwin einen Scheitel, den er sich vor dem nächsten Wochenende nicht mehr wird wegkämmen können. Die Faust drohend gegen den Berg erhoben und mit dem Gleichgewicht kämpfend, ringt unser Held mit den letzten Metern – aber es rächt sich jetzt, daß er zuviel Gepäck bei sich hat: Sauerstoffpumpe, Sandpapier, Schraubenschlüssel und Ersatzventile ziehen Erwin talwärts. Erschöpfung steht ihm ins Gesicht geschrieben, es zeichnet sich ab, daß Erwin keinen anderen Ausweg mehr hat als die Kapitulation; er muß absitzen und sein Fahrrad auf den letzten Metern der Katzbachstraße am Kreuzberg schiebend vorantreiben. Auf tückischen Strecken, zumal unter widrigen Wetterbedingungen, müssen wir immer wieder tatenlos zusehen, wie sich derartige Szenen abspielen.

Dabei sind sie durchaus vermeidbar. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Fahrpraxis stärken die Konstitution und beugen dem Geschwächel am Berg vor. Wenn diese Mittel aber ausgeschöpft sind und die totale Schmach (Umsteigen auf Pkw oder gar öffentliche Verkehrsmittel) vermieden werden soll, dann bleibt nur noch eine Maßnahme: Das Fahrrad wird aufgerüstet, ein Motor muß her!

Der korrekte Begriff für das neue Gefährt ist zwar wenig elegant, bringt seinen Zweck aber auf den den Punkt: Das „Fahrrad mit Hilfsmotor“ soll in erster Linie ein Fahrrad sein, der Motor eine Unterstützung in Krisensituationen. Vor der Anschaffung muß der Einsteiger allerdings noch Entscheidungsarbeit leisten, denn der Markt hält einige sehr unterschiedliche Varianten bereit. Der Klassiker im Angebotsspektrum ist dabei unbestritten das Fahrrad mit kleinem Benzinmotor. Die Firma Solex beispielsweise baut diese Fahrzeuge seit gut 25 Jahren, und das in nahezu unveränderter Form. Der Verbrauch liegt bei 1,4 Litern auf 100 Kilometern, mit einer Tankfüllung kommt man (bei reinem Benzinbetrieb) etwa 150 Kilometer weit, und die Fahrleistungen reichen aus, um auf dem Radweg am täglichen Stau vorbeizuschwimmen: Nach offiziellen Angaben liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 25 km/h, aber aus gut unterrichteten Kreisen sickert durch, daß die Werte nach kundigem Einfahren und bei guter „Wartung“ ausbaufähig sind.

Einen Führerschein brauchen die Fahrer nicht zu haben, aber das Gefährt muß versichert werden. Die Neuanschaffung kostet mindestens 1.700 Mark. Neben dem Klassiker, bei dem per Andruckrolle das Vorderrad angetrieben wird, gibt es noch exotische Untervarianten, etwa Fahrräder mit Außenbordmotor. „Aber“, so wendet der passionierte Radler Til Sauerwein ein, „ein Fahrrad mit Benzinbetrieb ist doch in ökölogischer Hinsicht ein entfremdetes Fahrrad!“ Wer diese Bedenken teilt, wird deshalb trotzdem nicht auf die eigene Muskelkraft angewiesen bleiben, denn Anfang der Achtziger kamen die ersten Fahrräder mit Elektromotor in den Handel. Trotz anfänglicher Begeisterung wurden die Pioniere nicht immer glücklich damit: „Der Akku war oft schon nach zwölf oder fünfzehn Kilometern leer war, obwohl der Hersteller eine Reichweite von vierzig versprach“, erklärt Fahrradhändler Robert Berger. „Bei Wochenendtouren reicht das gerade mal bis an die Stadtgrenze.“

Die Entwicklung der Elektroräder ging aber weiter. Die jüngste Errungenschaft präsentierte die Firma Sachs im Frühjahr dieses Jahres: Das ELO-Bike wird nicht mehr entweder mit Muskelkraft oder mit Strom betrieben, sondern es ermittelt den Pedaldruck und unterstützt den Fahrer mit genau fünfzig Prozent der nötigen Kraft. So wird der Radler zwar bei Steigungen und beim Anfahren teilentlastet, aber der in die Radnabe eingebaute Motor nimmt ihm nicht alles ab (ab 20 Stundenkilometer schaltet der Motor dann ganz ab). Der Akku reicht etwa 40 Kilometer weit, unter günstigen Bedingungen sollen auch 60 drin sein. Dann allerdings muß der Radler sein etwa 30 Kilo schweres Gefährt allein weiterbewegen. Es kann dann in nur zwei Stunden wieder aufgetankt werden. Die verschiedenen Modelle kosten zwischen 2.100 (7-Gang) und 2.600 Mark (21-Gang). Die Fahrer brauchen weder einen Führerschein noch müssen die Räder versichert werden.

„In Japan“, schwärmt Arno Paulus vom Verein zur Förderung der Solarenergie, „werden Elektroräder schon in sechsstelligen Stückzahlen produziert. Wenn sie sich hier auch so durchsetzen und die Akkus mit Solarenergie aufgeladen werden, dann sind auch die Elektroradler unabhängig vom Atomstrom!“