Langsam, aber lässig um den Block

Das Bonanzarad war nie zum Fahren konzipiert, und genau das machte seinen Charme aus. Coole Disziplinen wie der „Hochstart“ sorgten für verschorfte Ellenbogen und und hinterließen beeindruckte Mienen  ■ Erinnerungen von Oliver Gehrs

Wer kennt denn heute noch Bananensättel? Oder zweiteilige Geländelenker und imitierte Motorradgabeln mit verchromten Außenfedern? Alles zusammengeschraubt, ergab das ein Bonanzarad – der fahrende Beweis, daß Neubausiedlung und Abenteuer doch zusammengehen.

Andere Räder sahen plötzlich alt aus

Das Bonanzarad kam Anfang der Siebziger Jahre aus den USA nach Europa. Zu einer Zeit, als Snickers noch rot verpackt war und mit einem Cowboy warb, der den Schokoriegel wie einen entsicherten Colt in der Faust hielt. Als sich die amerikanische Erfolgsstory des Bonanzarads in Deutschland fortzusetzen begann, gab es hierzulande noch so etwas wie Sehnsucht nach dem fernen Kontinent, dessen Einwohner man mangels Aufkärung für ziemlich crazy hielt. Und weil noch kaum jemand da war, hielt sich hartnäckig der Verdacht, die Amis sähen aus wie eine Mischung aus John-Boy und Kojak und verhielten sich auch so.

In solch wild-romantische Verklärung also platzten die ersten pedalbetriebenen Chopper. Standen da plötzlich im Quelle-Katalog und ließen die übrigen Fahrradabbildungen ganz alt aussehen. Wenig später hatten ziemlich viele Kinder auf Banane umgesattelt. Und wenn abends Petrocelli sein Blaulicht abgestellt hatte, sind sie meistens noch eine Runde um den Blockgefahren. Ganz langsam – denn schnell ging eh nicht.

Daß das Bonanzarad zum Radfahren bestimmt sei, war von Anfang an ein Irrglaube. Wer sich einmal in zurückgelehnter Haltung und mit erhobenen Armen an einer Beschleunigung versucht hat, weiß es besser. Deswegen beschränkte man sich auf neu,, ungleich coolere Disziplinen. Wie z.B. das Auf-dem-Ständer-Stehen oder den legendären „Hochstart“, oft auch verwegen „Wheelie“ genannt. Der sorgte zwar immer mal wieder für verschorfte Ellenbogen, hinterließ aber in gut der Hälfte aller Fälle beeindruckte Mienen.

Weil das Rad nicht mehr vorrangig zum Fahren bestimmt war, blieb eine Menge Zeit, die Welt aus ruhigerer Perspektive zu betrachten. Laß sie sich doch abstrampeln, die Rennradspinner, hieß das Credo, man selbst schraubte lieber ein paar neue Accessoires an den Chopper. Was ziemlich erwachsen war, schließlich lagen die älteren Autofreaks auch häufiger unter dem Wagen, als daß sie damit fuhren. Die Lässigkeit, die man sich so frühzeitig aneignete, leistete auch auf dem ersten Mofa gute Dienste: Denn wer schafft es schon ohne jahrelanges Training, mit 25 Stundenkilometer durchs Wohngebiet zu treckern und dabei cool auszusehen.

Statt Fahrradtouren zu unternehmen, rüstete ich meinen „Mars-Highriser“ mit vollem Taschengeldeinsatz auf! Noppige Griffe, Plastikbändchen und Auspuffimitate aus Plastik. Irgendwann hatte ich einmal derart grobstollige Profilreifen aufgezogen, daß ich kaum noch von der Stelle kam. Klingelnd überholten mich die Streber auf ihren Herrenrädern mit Torpedo-Dreigangschaltung, aber über deren halbherzige Hirschlenker konnte ich nur lachen.

Aus und vorbei. Schon lange. Der deutsche TÜV phantasierte sich eine abstruse Lex Bonanza zusammen, nach der ein zu weit hinten liegender Schwerpunkt zu schweren Stürzen führte. Flugs wurden die letzten Bonanzaräder von besorgten Eltern eingefangen und der Rest aus den Katalogen gestrichen.

Eine Theorie, die mir zunehmend plausibler vorkommt, besagt, daß die Mountainbikeindustrie massiv Druck ausgeübt habe, um ihre eigenen Modelle massenweise abzusetzen. Denn wer hätte sich jemals ein Mountainbike gekauft, wenn es auch weiterhin Bonanzaräder gegeben hätte. Angesichts der Massen uniformer Geländeräder auf den Straßen scheint mir dieser Verdacht nicht im geringsten abwegig zu sein.

Er schüttelte den Kopf, und ich schämte mich

Heutzutage sind Bonanzaräder kaum mehr aufzutreiben. Mehrere Annoncen blieben unbeantwortet, und befragte Fahrradhändler schauen einen an, als habe man soeben um einen Fellatio mit der Luftpumpe gebeten. In meiner größten Not habe ich sogar mal den Bestellcoupon eines Quelle- Katalogs von 1977 ausgefüllt, den ich irgendwo gefunden hatte. Natürlich kam weder ein großes Paket noch sonst ein Bescheid.

Neulich, als ich die Suche schon fast aufgegeben hatte, fuhr ein Junge auf einem Bonanzarad an mir vorbei. Einfach so inmitten einer Gruppe gleichaltriger Mountainbiker. Natürlich kam er kaum hinterher, so daß ich ihn fragen konnte, ob er mir sein Bonanzarad verkauft. Da schüttelte er ziemlich verwundert seinen Kopf, und ich schämte mich sehr. Oliver Gehrs