Village Voice: Dorschdisco vs. Mondsound
■ Surrogat rocken und verteilen blubbernde Elektrogimmicks, Wuhling entdecken den Mondsound
Das wird nicht billig. Denn laut Lexikon steht der Name Surrogat entweder für einen Ersatzstoff oder – juristisch gesprochen – für das anstelle eines Rechts oder einer Sache bei Verlust, Zerstörung oder Veräußerung Erlangte.
Doch derart lärmig echtrockend, wie das international besetzte Trio daherkommt, stellt sich eher die Frage, was da auf Soul fet. MMM als Entschädigung wofür erhalten wurde. Surrogat, die letztes Jahr neben ihrer ständigen Live-Präsenz Support für Kepone und die Noise-Heroen Zeni Geva waren (und jetzt mit Steel Pole Bath Tub auf Europatour gehen) sind sich grundsätzlich treu geblieben. Wie auf dem vor einem Jahr erschienenen Debütalbum „Unruhig“ holzen Patrick Wagners schabende Gitarre, Tilo Scherz' groovig wütender Baß und T.T. Mai Linhs brachiales Schlagzeug rum wie die sprichwörtliche Axt im Bergwald, daß die drunten im Tal eingestürzten Neubauten neidisch werden könnten. Ein hektischer Beat und skandierte Texte, die – teils verzerrt und immer gut gebrüllt – irgendwo zwischen Pathos („Heroin! Heroin! Heroin!“) und Redundanz („Wo bleibt der Spaß?“) schweben, erzeugen handwerklich sauber gearbeitete Intensität bis nach dem Abwinken.
So richtig neu sind nur der Gag mit der eingeschobene Piano- Etüde („Läuft das?“) und die vier als Gimmick nachgeworfenen Abmischungen eines befreundeten Elektronik-Tüftlers mit den äußerst originellen Titeln „sex“, „drugs“, „and“ und „electronics“ – kein Scherz. Mal supernervös, dann wieder blubbernd wie in der Dorschdisco werden die fiebrigen Frequenzen moduliert, scheppernde Rumpelbeats laufen aus dem Takt gegen die nächste Wand und simulieren einen Soundkarten-Absturz mit angeschlossenem Lautsprecherschaden.
Solche unausgefeilten Spielereien sprengen das ohnehin kunstschwangere Albumformat jedoch komplett und wären auf einem separaten Tonträger garantiert besser aufgehoben gewesen. Von einer subtilen, visionären Produktion zu reden, dazu besteht also kein wirklicher Anlaß, obwohl diese Platte auch jenseits der Stadt- und Landesgrenze ihre verdiente Anerkennung finden wird.
Sehr viel freundlicher kommen Wuhling – was eigentlich das aufgeschäumte Wasser hinter der Schiffsschraube meint – des Weges. Immer den Ball flach halten – und hoch gewinnen, heißt hier die Devise. Kaum hatten sie mit „Du bist so weit weg“ die erste Single auf Raik Hölzels Kitty-yo-Label herausgebracht, konnten wir sie auch schon als Vorgruppe von Jörg Heisers Diskursformation Svevo ankündigen. Ein paar Monate später rockten sie dann mit Blumfeld im großen Saal der Volksbühne – und wechselten, nachdem sie in Peter Deimels Black Box Studio die Bänder für das geplante Debütalbum „Spacebeige“ eingespielt hatten, zu einer anderen Firma.
Da ihnen inzwischen Superbilk aus Düsseldorf hart auf den Fersen sind und die Veröffentlichung des unterdessen von Steve Albini in Chicago produzierten neuen Debütalbums „Extra 6“ noch geraume Zeit dauern kann, sei nun an dieser Stelle auf speed, eine silberne EP hingewiesen. Denn bereits diese vier Stücke zeigen, was passiert, wenn Sängerin und Gitarristin Anne Rolfs, Drummer Frank Neumeier (früher Stan Red Fox, Caspar Brötzmann's Massaker) und Heike Marie Rädeker (Ex-18th-dye) aufeinandertreffen. Verhalten beginnend, geht plötzlich alles nach vorn los, „Speed“ wird erst behutsam mit Breaks gedrosselt und dann verdoppelt.
Nahezu meditativ gehen sie „indisch essen“, treten eine offene „Tür“ ein und rufen behutsam „Leinen los!“ Dank Anne Rolfs' eigentümlichem Gesang entstehen so entzückende, hypnotische Miniaturen, denen trotz ihrer Entrücktheit die Erdanziehungskraft keinen Strich mehr durch die Rechnung macht. Berlins erste Band auf dem Mond – Glückwunsch, und schreibt mal wieder! Gunnar Lützow
Surrogat: Soul feat.MMM (Kitty-yo Int. Indigo)
Wuhling: Speed, EP (City Slang/ EFA), Mondsound 7-inch (City- Slang/EFA)
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