Wand und Boden
: Entschieden gewitzt

■ Kunst in Berlin jetzt: Henning, Multiple Application, Schiffhauer, Special/O. K.

Der Künstler steht in der Küche und kocht. Aus lauter Begeisterung hat er sich gleich verdoppelt und dabei seinen Bart verloren, der nun im Milchtopf schwimmt. Überhaupt passiert einiges Unrühmliches in dieser wunderschönen Küche, um die Anton Henning zu beneiden ist. So glotzen einem aus der Minestrone zwei blaue Augen an; und was den acht erwarteten Gästen schon mal auf die Teller gelegt wurde, sieht in Anbetracht der Profikochwerkstatt erstaunlich roh aus. Man wird das Fleisch aber nicht nur aus diesem Grund nicht essen können. Das Gedeck ist nämlich nur auf dem Tisch aufgemalt.

Die vier großformatigen Farbfotografien, die solche Szenen zeigen, sind der dritte Beitrag zum einjährigen Fotografie-Projekt „Körper & Betrug“ der Galerie Wohnmaschine, und sie sind entschieden gewitzt. Ein einziges System von Unvereinbarkeiten, das trotzdem perfekt funktioniert. Denn am Ende kulminieren die komplexen und paradoxen Bezüge und Referenzen an die Formen und Praktiken der Kunst, der Fotografie und des Alltagslebens in Hennings Bildern ganz souverän in einen practical joke.

Bis 21. 7., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Tucholskystraße 36

Eine Art practical joke stellen auch die Auflagenarbeiten dar, die derzeit Klosterfelde präsentiert. Nicht ohne Grund also unter dem Titel „Multiple Application“, eignet ihnen doch eine gewisse Verwendbarkeit. Kontextkunst aufs Hochkrempeln der Ärmel heruntergekocht: Dan Petermans „Shades of Green“ besteht aus einer Sonnenbrille, deren grüne Gläser ehemals die Böden von Limonadenflaschen waren. Dazu kommt ein ebenso grünes Brillenetui aus einer umgeformten Sprite-Flasche. Das Brillenputztuch ist mit lexikalischen Weisheiten zur Kunst bedruckt.

Andrea Zittels „Chamber pots“ und Stoffdecken sind Objekte eines Lebensvereinfachungssystems. Die Aluminiumgefäße können nicht nur als Nachttopf dienen, sondern auch als Blumenvase oder Kochtopf. Und mehrere, übereinandergestapelte Decken ergeben ein nicht minder lebensweltliches Sitzkissen, während sie nebeneinander an die Wand gehängt ein Bild aus schwarzem Samt, grauer Wolle und orangefarbenem Leinen sind. Man könnte sie auch als Zudecke benutzen, etwa wenn man mit Rikrit Tiravanijas gelbem Einmannzelt unterwegs ist. Praktischerweise ist es innen mit Stadtplänen, Postkartenansichten, Lageskizzen und Sternenkarte bedruckt. Dazu gehört ein Henkelmann, den man erwirbt, indem man sich in einem Thai-Restaurant in der Goebenstraße das Tiravanija-Kunst-Menu bestellt, das mit einer thailändischen Bild- Zeitung geliefert wird.

Andrea Rostásys „Orientation Aid“-Auflagenobjekt könnte sich gerade beim Kunst- Camping als sehr nützlich erweisen – wären Kompaß, Armbanduhr, Feldstecher und Taschenlampe nicht ein fragiler Gipsabguß. Aber selbst wenn er nicht zu verwenden ist, nützlich ist er allemal. Immerhin erinnert er daran, was man für die Kunst wie das Leben gut gebrauchen kann: Zeit, ein gutes Auge, Orientierung und Licht.

Bis 28. 7., Mi.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstraße 160

Was man auch gut gebrauchen kann, ist Sammeleifer. Die ungenannte Heldin in Ina Schiffhauers Fotogeschichte „steinalt“ in der Galerie Am Scheunenviertel hatte ihn weiß Gott. Neunzig Jahre, also steinalt, wurde die Dame in ihrer Wohnung in Moabit. Dann ging sie ins Altersheim. Ein Verwandter durchstöberte die Wohnung nach Wertvollem, räumte sie aber weder auf noch leer. Danach kam Ina Schiffhauer und fotografierte hinreißende, rührende Bilder einer über- und übervollen Wohnung. Bilder eines Stillebens der besonderen Art, wie es nur eine sogenannte Trümmerfrau zusammensammeln konnte. Eine traumatische Wohnung, in der sich die Fotografin mit ihrem systematischen und präzisen Zugriff auf das Chaos beweist: Der Blick auf überbordende Regale, Anrichten und Tische hat striktes Querformat.

Der Blick in Schränke, Kammern und Fensternischen hat Hochformat. Ein Fliegengitter etwa schützt ein schmales Fenster, das vielleicht das der Toilette ist. Vor dem hohen Lichtschacht steht eine Flasche Asbach Uralt, zum „Parkett-Reiniger“ umettiketiert und in der leeren Rama-Dose, die aus der Zeit stammt, als noch pickende Hühner inmitten von grünem Gras ein ländliches Glück auf die Verpackung zitierten, steckt die Bürste.

Bis 21. 7., Di.–Fr. 15–20, Sa. 15–18, So. 11–14 Uhr, Weinmeisterstr. 8

War die alte Dame jemand besonderes? Special? Special/O.K.? Allerdings richtet sich die Frage, „Are You Special?“ bei allgirls gar nicht an alte Frauen, sondern an junge Männer: „Cool Girls Group Needs Groupies. Send Photo/Biog. to Special/O.K. ...“ Diejenigen, die sich vorwagten, sind gleich drunter im Polaroid verewigt. Als echte Fans sollten sich die Jungs in das lilafarbene Special/O. K.-Kleid werfen und die silbernen Special/O. K.-Pumps nicht vergessen. Im Special/ O. K.-Shopping Channel werden ihnen weitere Special/ O. K.-Produkte wie Bier, T-Shirt, Schlüsselanhänger, Feuerzeuge, Spiralblocks und Fotorahmen offeriert, die auch in einer Vitrine ausgestellt sind. Das Ganze kann mann auch in einer Papiertragetasche gleich auf einen Satz erwerben.

Multimedial scheinen sie omnipräsent. Vier mal sind sie im Internet vertreten, und sie haben ihre eigene Soap-opera. Ansonsten wüßte man aber von den vier New Yorker Special/ O. K.-Girls nicht, daß ihnen als Film-, Musik-, Kunst- oder Mode-Ikonen irgendeine Bedeutung zukäme. Vielmehr haben sie endlich die Ikone ohne Eigenschaften kreiert. Das grenzt dann wieder an Kunst.

Bis 31. 7., Do., Fr. 16–19, Sa.12–15 Uhr, Burgstraße 22. Brigitte Werneburg