: Keine Parties, keine Intrigen
■ Ein Film über Werber: „Der Auftritt“, So., 22.05 Uhr, 3sat
Werbeguru Bill Bernbach fand, Werbung sei keine Wissenschaft, sondern Überredung. Und Überredung eine Kunst. Diese Kunst nicht auf den Verbraucher, sondern den Auftraggeber anzuweden, ist eine Interpretation, die Harun Farocki in seinem Film „Der Auftritt“ dokumentiert. Sein Bericht aus dem wahren Leben einer Werbeagentur zeigt eine Präsentation vor einem Neukunden, der einen Etat zu vergeben hat. Doch was für die Agentur so spannend wie ein Krimi sein mag, unterhält die ZuschauerInnen bestenfalls wie das Verkaufsgespräch eines Staubsaugervertreters. Einer Orgie der Argumente und dem Angriff bunter Pappen folgt eine verbale Zermürbungsstrategie Kundenberater-gegen-Kunde, die Farocki gnadenlos auf sein Publikum projiziert: Auch er zermürbt, qualvolle 40 Minuten lang.
Farockis einzige Stellungnahme ist die beobachtende Kamera, die zwischen den Beteiligten schwenkt und den Zuschauer im Argumentationsregen stehen läßt. Die Handlung hat die Dramaturgie einer endlosen S-Bahnfahrt im TV- Nachtprogramm, für das Farocki eine neue Idee liefert: Anstelle von Fischen redende Menschen bei der Arbeit, sozusagen als Aquarium für Intellektuelle.
Deutlich wird, daß die Werbebranche noch immer unter einem großen Rechtfertigungszwang steht. So oberflächlich der Kontakt mit einer Anzeige oder einem Werbespot ist, so aufgebläht präsentiert sich das theoretische Fundament dahinter. Auch in diesem Fall, in dem ein Optiker Anzeigen und Plakate benötigt und ihm eine komplette Lebensphilosophie verkauft wird. Daß sich der Kundenberater einer Sprache bedient, die den Horizont seines Zuhörens übersteigt, gehört dabei zum beruflicher Ehrenkodex: „Integrativ sein“, „multithematisch“, „Produkte personifizieren“, so daß sie „in der Tonalität polarisieren“. Jeder Satz liegt bedeutungsschwer auf der Werberzunge, nur kurz bäumt sich der apathische Kunde auf: „Das habe ich nicht kapiert“.
Farockis Film ist ein gemeiner Blick in den Spiegel. Werbeagenturen werden sich wiedererkennen und feststellen, daß sich auch die Konkurrenz um Kopf und Kragen redet. Bestenfalls entlarvt der distanzierte Blick die eigene Egozentrik und Distanzlosigkeit. Branchenunbeteiligte werden sich wahrscheinlich langweilen, weil die Arbeit einer Agentur ihrem gängigen Klischee nicht standhält: keine Parties, kein Champagner, keine Intrigen. Am Ende höchstens die Erkenntnis, daß sich in Frau Sommers Einkaufstip wohl eine welterklärende Message versteckte – und Klementines Dumm- aus-der-Wäsche-Gucken eine philosophische Metapher war. Dirk Nitschke
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