Der sympathische Massenmörder

■ "Mordprotokoll" - eine neue Zeitschrift für Menschen wie dich und mich. Und unseren kranken Nachbarn auch

Der Besuch beim Zeitungskiosk kostet jeden Morgen Überwindung. Mal riecht der Besitzer wie eine Duftlampe, die mit Bommerlunder gefüllt wurde. Mal präsentiert seine Frau furchtbare blaue Flecken, wohl das Ergebnis ehelicher Zerrüttung und einer Duftlampe voll Bommerlunder. Darum war ich zuerst gar nicht erstaunt, als mich vor einigen Tagen neben der toten Margaux Hemingway und Steffi Graf auch Charles Manson mit irrem Blick aus den Zeitungsstapeln auf dem Kiosktresen anblickte: „Tod in Hollywood: Der Tod von Sharon Tate. Einführungspreis 1,90 DM“. So steht es auf dem Titelblatt einer neuen Wochenzeitschrift: Mordprotokoll – Was Menschen zu Mördern macht. Das Blatt wanderte auf meinen Stapel zu kaufender Zeitschriften und Zeitungen.

Die nähere Inspektion zu Hause ergab Bedenkliches: Mordprotokoll ist eine Art Loseblattsammlung zum Thema Massenmord. Die Heftreihe, die laut Impressum wöchentlich erscheinen soll, wird sich in zukünftigen Ausgaben mit so beliebten Totmachern wie Ted Bundy, Jim Jones, Jack the Ripper oder Fritz Haarmann befassen. Für Sammler wird auch ein schwarzer Faltordner angeboten, „der speziell für Mordprotokoll konzipiert wurde und in dem Sie Ihre Hefte aufbewahren können“. Herausgegeben wird das Blatt von der Hamburger Orbis GmbH, die auch Sammelhefte zu Blues und klassischer Musik samt CDs publiziert.

Mordprotokoll kommt zwar ohne derartige Gimmicks (Mordwaffen? Zyankalipillen? Foltergeräte?) aus, dafür hat es der redaktionelle Inhalt in sich: Minutiös wird auf 34 Seiten die Manson- Saga ausgebreitet, komplett mit unscharfen Fotos und Zeitungsausschnitten. In Kästchen mit verschiedenen „Leitfarben“ wird der Fall Manson scharfsinnig analysiert: „War er krank? Oder ein Sadist? Ein Mann mit einer Mission?“ An seiner Handschrift hätte man sowieso alles vorher sehen können: Ein Graphologe hat akribisch ein Formular aufgeschlüsselt, das Manson ausgefüllt hat, und da weist natürlich schon das „R“ mit „übergroßen Bogen“ auf die „Fähigkeit, sich nett und freundlich zu geben“ – Zeichen besonderer Verschlagenheit!

All das dient natürlich nur der Information: „Dieses einmalige neue Sammelwerk“ erzählt „die ganze Geschichte“ von Charles Manson und seiner mörderischen Family, diesen „selbsternannten Außenseitern der Gesellschaft“, die 1969 in Los Angeles die Schauspielerin Sharon Tate und das Ehepaar LaBianca ermordeten. Wir erfahren von Mansons Vorleben als „recht erfolgreicher Gelegenheitsdieb“, seiner verpfuschten Karriere als Singer-Songwriter, viele schöne, blutrünstige Details aus den „Mordnächten“ und natürlich auch, daß Manson bis heute in einem kalifornischen Knast sitzt, wo er von Zeit zu Zeit noch ein bißchen Gitarre spielt.

Bis vor einigen Jahren waren es nur eine Handvoll Freaks, die mit der morbiden Faszination des serial killers kokettierten. Besonders im Kino konnte man allerdings beobachten, daß in den letzten Jahren eine Neubewertung dieses Phänomens stattgefunden hat. In schmuddeligen amerikanischen Low-budget-Filmen erschienen seit Anfang der siebziger Jahre Massenmörder als das unterdrückte, verdrängte Andere der bürgerlichen Gesellschaft: mal Massenmörder-als-Produkt-der- bürgerlichen-Familie („Texas Chainsaw Massacre“) und mal Massenmörder-als-soziale-Opfer („Martin“), mal Massenmörder- als-wandelnde-Kastrationsangst („Dressed to Kill“) und mal Massenmörder-als-König-Ödipus („Last House on the Left“). Und irgendwo in Amerika konnte man angeblich Massenmörder-Sammelkarten kaufen.

In den letzten Jahren hat die Figur des Massenmörders freilich eine immer sympathischere Gestalt angenommen: In Jonathan Demmes sehr erfolgreichem Silence of the Lambs war „Hannibal the Cannibal“ Lecter ein eigentlich recht liebenswerter Gentleman, der halt nun mal leider gern Menschenfleisch aß. Und in dem ebenso erfolgreichen „Seven“ mutierte der Massenmörder „John Doe“ (Frank Capra läßt grüßen!) vollends zum Publikumsliebling, der eigentlich nur das gesunde Volksempfinden vollstreckte. Das hatte nun einen nicht länger überhörbaren reaktionären Unterton von Sozialdarwinismus, Selbstjustiz und Militiabildung.

Und deswegen ist es ganz schön gruselig, daß uns eine Zeitschrift wie Mordprotokoll zum Flirt mit dem diskreten Charme des Massenmordens einlädt. Unwillkürlich muß man an Walter Benjamins Diktum von der spätkapitalistischen Gesellschaft denken, die „ihre eigene Zerstörung als ästhetisches Spektakel goutiert. Wenn Menschen wie du und ich – und unser kranker Nachbar auch – das Bedürfnis haben, akribische Schilderungen von Mordfällen zu lesen und in schwarzen Schubern abzuheften, dann ist im Zuspätkapitalismus irgend etwas ganz schrecklich falsch gelaufen.

Die Menschen aber, die solche Druckwerke an die Kioske bringen, seien an den schönen, alten Kinderreim aus den zwanziger Jahren erinnert:

„Warte, warte, nur ein Weilchen,

dann kommt Haarmann

auch zu dir.

Mit dem kleinen Hackebeilchen

macht er Schabefleisch aus dir.“ Tilman Baumgärtel