Treffpunkt „Infinity-Shop“

■ Von weiß Gott woher reisen sie zur Love Parade – aber wie sieht's der ravende Allgäuer? Kurzumfrage ergibt Unspezifisches: „Es ist halt einfach ein Kulterlebnis“

Ein großes Kaufhaus mitten in Kempten, der Allgäumetropole. Hochfahren mit der Rolltreppe. Schicke Modeläden, ein Drogeriemarkt, ein Sexshop, ein Supermarkt. Friedlich daneben ein Rave-Shop. Piercing-Schmuck, Platten, DJ-Equipment, alles rund um den Techno – die Szene lebt, es gibt sie.

„Die Berliner, die's wissen sollen, wissen, daß technomäßig Kempten längst keine Provinz mehr ist“, verkündet Christian (30) vom „Infinity-Shop“ selbstbewußt. Zwei- bis dreitausend Freunde des Techno in der Umgebung von Kempten – von wegen Provinz!

Vom termingerecht zureisenden Umland (im allerweitesten Sinne) lebt schließlich auch die Love Parade, zu der wieder Hunderttausende nach Berlin strömen werden. Von Kempten aus fährt auch heuer wieder ein Bus. „Wir haben eine Warteliste, der Bus ist immer voll“ – Christian ist zum vierten Mal mit dabei. Er sagt, was alle sagen: Das Schöne an der Love Parade ist, wie es angefangen hat, sagt er. Von tausend Leuten hin zu Hunderttausenden. Am Anfang ruhig dastehen. „Dann kommt der erste Wagen und der erste Baßschlag, und 500.000 Leute schreien wie am Spieß, weil sie sich einfach auf die Party freuen, sich aufs Wochenende freuen. Gemeinsam feiern, Musik hören, abtanzen. Megageil!“

Zum ersten Mal fährt Timo mit, redet aber schon ganz ähnlich: „Einfach mal dabeisein.“ Er hat sich angemeldet im Infinity. Timo ist 21. Sachbearbeiter beim Arbeitsamt. Partyerfahren. Früher eher in der HipHop-Szene, dann voll auf Techno umgeschwenkt. „Berlin – das wird garantiert irre“, weiß er. „Viel Spaß, Leute kennenlernen, viele Parties. Es ist halt einfach ein Kulterlebnis. Ich werd' jetzt mal am Freitag nicht weggehen, daß ich für den Samstag fit bin.“ Um vier Uhr morgens fährt der Bus in Kempten los. Um 13 Uhr sind sie da. Um 14 Uhr startet die Parade – „megageil“. Weniger megageil: Am Sonntag um neun geht's schon wieder zurück ins Allgäu – in die Nichtprovinz.

Daß das Verfahren stark an das Herankarren von Touristen zu Musicals oder Opernabonnementabenden erinnert, stört keinen. Die Love Parade, schwört Christian, ist die Party, die die ganze Techno- Szene wieder vereinigt. Stilrichtungsstreit hin oder her.

Und Ecstasy – nicht erst seit dem Gruselartikel in Focus mit Riesenraves verbunden? Das Problem besteht, keine Frage, sagt Christian. Daß die Techno-Szene pauschal in die Drogenecke gestellt wird, geht ihm aber „am Arsch vorbei“: „Ich hör' gar nicht mehr hin. Ich persönlich brauche keine Drogen, aber mir ist es auch egal. Mir reicht die Musik. Wenn ich müde bin, lege ich mich einfach hin.“

Mit 30 ist das erlaubt. Und mit 21? Timo: „Kommt schon von Zeit zu Zeit mal vor.“ Steffi (18), angehende Bankkauffrau aus einem kleinen Nest im Allgäu, ist seit drei Wochen zurück aus Amerika. Ein Jahr Highschool liegt zwischen der letzten und der jetzigen Love Parade, aber keine Frage – sie fährt wieder mit. „Ich hab' noch nie so viele Leute gesehen wie bei der Love Parade. Schon im Bus ging die Party ab. Auf Autobahnraststätten haben sie schon einen Bus nach dem anderen getroffen. Irre, so viele verrückte Leute. Eine ganze Stadt voll von Ravern. Das Allgäu, ein Jahr Nebraska, Love Parade...“

Steffi sieht sich nach wie vor in der Techno-Szene, ist aber von Drogen wieder weggekommen – aus eher sachlichen Gründen: „Man kommt schneller rein in die Szene, wenn man Drogen nimmt, klar. Aber ohne erlebt man so eine Party viel besser.“

Und nach der Love Parade? Wieder zurück im Allgäu – was kommt dann? Bierzelt! Jawohl, ein richtig großes Bierzelt. Timo: „Ich hab' eins für 2.000 Mann. Genau das habe ich vor. So 'ne richtig gute Party im Bierzelt.“ Eine Party, eine gute Party, kann man überall machen. Im Bierzelt, auf der Straße, in der Kanalisation. Hauptsache, die Leute passen und die Musik. So wie bei der Love Parade. Klaus Wittmann