„Techno ist ja heutzutage alles“

Schneller, härter, geiler, mehr: Weniger als eine halbe Million bei der 96er Love Parade wären schon ein Mißerfolg. Wie es insgesamt weitergeht, ist „total offen“, aber eine Schamanin hat Dr. Motte geflüstert, „daß es nicht regnen wird“  ■ Von DJ Bax

Zahlen zur Love Parade klingen immer nach Materialschlacht, scheinen aber mit dem Kern der Sache in unmittelbarer Verbindung zu stehen – weshalb alle sie nennen, wir auch: 25 Bundesbahn- „Love Trains“, die gen Berlin rollen, über 100 „Locations“ in ganz Berlin (von den Trucks ganz abgesehen), die sich und (fast) die gesamte nationale und internationale DJ-Prominenz an den Pulten auf den großen Ansturm vorbereiten. Mehr als 80 Bewerber mußten vom Veranstalterteam Planetcom auf nur 40 zugelassene Love-Parade- Wagen verteilt werden, weshalb die Party-Parteien nun auf den Sattelschleppern zusammenrücken müssen. Das Berliner DJ-Radio Kiss FM sendet ein 60-Stunden- Nonstopprogramm, und das lokale TV-Magazin „Tip TV“ wirft Stimmungsberichte von den anderen Party-Standorten auf Großbildleinwände in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg. Auch Fern- Seher kommen kaum um den Event herum: MTV überträgt wochenenddeckend in 250 Millionen Haushalte, und das Jugendradio „Fritz“ schickt die Originaltöne via ARD zum Endverbraucher – nur deutschlandweit, aber immerhin.

Viel Aufwand um eine allerdings lohnende „Zielgruppe“. Auf drei bis vier Millionen wird der ravende Teil der Gesellschaft von Experten geschätzt, jährlich etwa vier Milliarden Mark sollen sie für ihren Lebensstil ausgeben. „Der Markt für Markenartikler bewegt sich heute in den Szenen“, stellt Jürgen Reichert von der Agentur Megacult fest, die für den US-Tabakmulti Reynolds die Aktionen auf dem Rave-Feld koordiniert. Doch Reichert weiß: „Der Markt hat mit Sicherheit schon eine gewisse Ausreizung erlebt.“

Daß das Stadium der maximalen ökonomischen Verwertbarkeit bereits überschritten scheint, läßt nicht nur Trendjäger grübeln. Insider sehen die Love Parade, den immer noch größten Indikator des „Movements“, an einem kritischen Punkt angelangt – was die Veranstalter im Pressetext anthropologisch deuten: „Alle sieben Jahre gibt es eine Zeitenwende im Leben eines Menschen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß im achten Jahr der Love Parade 1996 vieles anders werden wird.“

Nur wie? „Meiner Meinung nach ist das total offen. Es kann total schön werden mit all dem Grün drumherum im Tiergarten, weg von diesem kommerziellen Boulevard Ku'damm. Kann aber auch sein, daß noch mehr Werbung durch Sponsoring erscheint“, meint etwa Katharina Deeken, Besitzerin einer Clubwear-Boutique.

Wurde nach der letzten Techno- Fete auf dem Ku'damm euphorisch die Halbmillionen-Schallgrenze bereits für durchbrochen erklärt, reden die Veranstalter der Liebesparade jetzt lieber vorsorglich von 250.000 Teilnehmern – schließlich soll sich die Teilnehmerzahl ein weiteres Mal zumindest verdoppeln. Daß die ursprünglich aus einer Sponti-Idee geborene Love Parade zur Event-Maschine geworden ist, wird von den Machern energisch verteidigt. „Die Love Parade lebt von der Größe – die Idee von Love, Peace and Unity macht als Minoritäten- oder Avantgardegedanke keinen Sinn“, verkündet Frontpage, das Hausblatt des Love-Parade-Teilhabers Jürgen Laarmann, ungebrochen fortschrittsfroh. Wachstumsungläubige hätten einfach die Techno-Philosophie nicht verstanden.

Szeneinterne Kritik an der Kommerzialisierung des Techno- Spektakels hatte es besonders nach der letzten Parade gegeben. Die Organisatoren wollen darum in Zukunft, mit Hilfe eines neugegründeten „Vereins der Freunde und Förderer der Love Parade“, dem drohenden Kommerzoverkill entgegenwirken. Eine halbe Million Mark wird der Zug durch den Tiergarten voraussichtlich kosten, was hauptsächlich durch Sponsoren aufgefangen wird. Um die Love Parade künftig „unabhängig von äußeren Einflüssen, Medien und Sponsoren“ zu halten, sollen Fördermitglieder über Jahresbeiträge in Höhe von 20 Mark die Liebesdemos 97ff finanzieren. Dafür bekommen sie ein Abzeichen, daß ihre Zugehörigkeit zur Förderfamilie ausweist.

„Wir haben ja das Glück, daß wir Sponsoren haben, mit denen wir sehr kooperativ zusammenarbeiten können – aber es ist ja nicht gesichert, daß das bis in alle Zeit so bleibt“, begründet Initiator Jürgen Laarmann den Schritt. Die Love Parade GmbH, die aus Paradenerfinder Dr. Motte, E-Werk-Betreiber Ralf Regitz, Frontpage-Herausgeber Jürgen Laarmann und Leuten vom Techno-Label Low Spirit besteht, will ihr bestes Stück ohnehin lieber selbst vermarkten. Der Begriff „Love Parade“ wurde darum als Markenzeichen weltweit gegen die Benutzung durch Außenstehende geschützt. Erstmals soll in diesem Jahr – als Souvenirdevotionalie – auch eine offizielle Love-Parade-Erinnerungs-CD erscheinen.

Es ist das Bedürfnis nach Sinn, Vergegenständlichung, Sprache, das zu einer einer weiteren Novität des 96er Jahrgangs geführt hat. Durch eine große Abschlußkundgebung an der Siegessäule – mit Ansprache von DJ Dr. Motte! – soll der politische Charakter der Love Parade betont werden. „Das ist eine machtvolle Demonstration für den Frieden“, meint der Paradenerfinder. „Wir demonstrieren, wie ein friedliches Miteinander aussehen könnte.“ Das Motto lautet darum: „We are one family“ – „weil wir alle die ,Familie der Menschen‘ auf diesem Planeten sind.“

Nicht bei allen stößt diese Losung auf Zustimmung: „Im Moment gibt's gerade eine ziemlich große Sinnkrise im Techno, da nimmt man diesen alten Begriff, der dazu dient, so eine Art Geschlossenheit zu erzeugen“, vermutet „Bunker“-Besitzer Werner Vollert. „Das ist eine Sache, die der Entwicklung von Techno nicht guttut, weil sie Impulse von außen verhindert.“

„Die Love Parade hat ja nicht nur mit Techno zu tun“, findet hingegen Jürgen Laarmann. Und mokiert sich: „Was soll daß eigentlich sein: Techno? Techno ist ja heutzutage alles!“ Die Puristenfraktion hält frustriert dagegen: „Vor drei, vier Jahren war es vielleicht noch einer von tausend, der sich für die Musik interessiert hat, heute ist es vielleicht einer von zehntausend“, grummelt ein Mitarbeiter von Hard Wax, Berlins erstem Techno- Plattenladen.

Manch Schadenfroher wünscht sich darum, daß Regen am Samstag die Wachstumsexplosion bremst. Doch Dr. Motte ist überzeugt, daß es dazu nicht kommen wird. Er hat sich mit einer Schamanin getroffen, „die die Vision gehabt hat, daß es nicht regnen wird“.

Und wenn doch? Im Planetcom-Headquarter sieht man das gelassen: „Dann kaufen wir alle Müllsäcke der Stadt, und es wird eine blaue Parade.“

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