: Ein neuer Baal für Berlin
Heute ist Techno-Feiertag: 500.000 werden zur Love Parade erwartet. Den Rest des Jahres herrscht Partydrogennehmeralltag in der Hauptstadt. Dann ist Techno — im Club — immerhin noch ein ziemlich tolles Paralleluniversum ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Man duzt sich immer mit der Musik, die man gut findet, und mit den Leuten, die die Musik, die man gut findet, auch gut finden. In Techno-Läden sind die meisten Kontakte eher kurz und zumeist auch sehr höflich. Bei einem „Event“ in der „Arena“ fragte mich zum Beispiel Jens, ein 20jähriger Bankkaufmannslehrling aus Rostock, ob er mich umarmen dürfe, bevor er mich umarmte, weil ich so „gut drauf“ war, wie er fand. Alle paar Stunden wechselten wir dann lächelnd ein paar Worte, wie zum Beispiel: „Hast du eventuell noch eine Zigarette?“ Auch berichtete er, daß er grad seine zweite „E“ genommen habe.
Das öffentliche Bild von Techno in Zeiten der Love Parade ist eher abschreckend: überall aggressiv-hedonistische Jungmänner und Bravo-Mädchen. Trotzdem ist Techno in Berlin zumindest das Beste und die Techno-Party das erste Gesamtkunstwerk, das ab und an funktioniert. Wenn Publikum und DJ gut zusammenspielen und die Räume gut gestaltet sind, ist die Techno-Diskothek ein ziemlich tolles Paralleluniversum. Der DJ mag zwar Dionysos sein, wie Rainald Goetz mal schrieb, ein Star, der, wie in den anderen Popuniversen, die Projektionen der Fans auf sich zieht, ist er nicht.
In Berlin ist die Szene ziemlich heterogen. Auch das Alter schwankt. Neulich sah ich zum Beispiel „Strapsharry“ mit seinen langen grünen Haaren im „Kitkat- Club“ herumsitzen. Der ist neunundachtzig. Und das „Kitkat“ ist so sympathisch, weil die pornographischen Malereien an den Wänden so ungeschickt aussehen.
Und die Love Parade ist natürlich Woodstock, ein profaneres, weniger verkitschtes, ein mit Comicparolen um sich schmeißendes Woodstock, das intensiv statt inhaltistisch den Sieg der Gegenwart gegen die übrige Zeit, den Sieg von Pop gegen die übrige Welt feiert.
Bettina war auf „E“, als ich sie im „Tresor“ kennenlernte. Sie tanzte so, als seien alle Dinge, die sie sah, freudige Überraschungen. Wen ein Lächeln von ihr traf, der fühlte sich beschenkt. In der Bar sagte sie, daß sie sich furchtbar ärgern würde, daß sie Techno erst im letzten Jahr für sich entdeckt habe. Hasch und Alkohol fand sie blöde, die Love Parade natürlich klasse. Irgendwann sagte sie halbwegs unvermittelt: „Wenn ich morgen sterbe, weiß ich wenigstens, ich habe gelebt.“
Zunächst kam mir ihr Satz ziemlich angekitscht vor. Am nächsten Tag dann eher traurig-existenzialistisch.
Etwas durchgedreht war es mal im „E-Werk“, als ein Mädchen auf der Tanzfläche pötzlich engagiert begann, ihrem Freund einen zu blasen. Da dachte man dann, daß das Obszöne wohl doch noch funktioniert. Irgendwann am Vormittag suchte ein Langhaariger komisch verzweifelt den Boden ab und fragte, ob jemand zufälligerweise seine zwei „E“ gefunden habe. Ab und an murmelte er auch: „Ich will nach Hause.“
Techno habe ihn vor der Verspießerung gerettet, meinte der Pressesprecher der Love Parade. „Techno ist dein Leben, was?“ hatte eine Fernsehreporterin ein Teeniemädchen gefragt, das vor mir in der Warteschlange zu irgendeinem „Event“ stand. „Ja, Techno ist mein Leben“, hatte das Mädchen geantwortet und sich danach kichernd an die Stirn getippt.
Anja aus Zürich findet den Megaauflauf Scheiße: „Partymachen schön und gut“, doch mit Politik hätte das natürlich „überhaupt nichts“ zu tun. „Gerade in Deutschland“ fühle sie sich bei solchen Sachen immer an „Naziaufmärsche“ erinnert. „Und erst das Motto: We are one family – ein Volk, ein Reich, ein Führer.“ Das täte doch alle sozialen Widersprüche zukleistern. Techno-Partys hätten sowieso nur „Ventilfunktion“, und Ecstasy funktioniere nicht anders als das „Soma“ aus „Brave New World“.
Zwei Tage vor der Love Parade fuhr sie dann konsequenterweise wieder heim nach Zürich. In erster Linie jedoch, weil ihre Mutter am Wochenende Geburtstag hat.
„Fun ist ein Stahlbad“, heißt es in der „Dialektik der Aufklärung“. „Only the strong survive“, heißt die neue CD von „Bam Bam“. Der Dienstag sei der kritische Tag für die Berliner Partydrogenennehmerszene, erzählt Hans Cousto, Mitbegründer von „Eve & Rave“, einer szenenahen Initiative, die sich als eine Art Stiftung Warentest um die „Förderung der Techno-Kultur“ und akzeptierende Drogenberatung kümmert. Da hätten dann viele einen üblen Drogenkater vom Wochenende. Deshalb käme jeden Dienstag ein Schamane in den Club und würde mit den Leuten „OM“ singen. Der stets vergnügte Cousto berichtete auch von einer Hamburger Untersuchung, der zufolge 10 Prozent aller weiblichen Ecstasy-Benutzer das Rauschgift nehmen würden, um schlanker zu werden, und erzählte noch von recht komplizierten Analogien zwischen Ecstasy- Wirkung, Erdumdrehung, einem leuchtenden Hellorange, dem Planeten Mars und dem in der „E“-Musik dominierenden Mars- Ton, von dem ich vergessen habe, wie der mit allem zusammenhängt.
Auch wenn die meisten Alkohol trinken, schreibt man natürlich am liebsten über Drogen. „Das ist für niemanden verwunderlich, der die Vermehrung der Attraktivkraft hat verfolgen können, die das Gift dem Süchtigen außerordentlich oft zuteil werden läßt. (...) Mutmaßen kann man, daß das Gift im Zuge der Veränderungen, welche es herbeiführt, auch eine Reihe von Erscheinungen zum Fortfall bringt, die dem Individuum vorwiegend hinderlich sind. Unliebenswürdigkeit, Rechthaberei und Pharisäertum sind Züge, denen man bei Süchtigen nur selten begegnen wird“ (Walter Benjamin).
In jedem Fall sind Drogengeschichten immer interessant. Am besten war die, die mir Peter, der „Vorschriftenwart“ bei der Bundeswehr ist, mal im „Nautillus“ erzählte. Tagaus, tagein sitze er also in der Vorschriftenkammer, einer Art Bibliothek, wo die vielen Vorschriften aufbewahrt werden für die Soldaten. Da wäre er mal „auf Acid“ gewesen. Da hätte ihn dann sein schwarzes Amtstelefon böse angeschaut und sei dann, immer größer werdend, auf ihn zugewatschelt. Im letzten Moment seien ihm dann glücklicherweise freundliche Handys zu Hilfe gekommen.
Dimitri Hegemann, Betreiber des besten Berliner Techno-Clubs, „Tresor“, fürchtet den totalen Ausverkauf: „Es geht in die falsche Richtung, jetzt muß man Einhalt gebieten.“ So spendet der „Tresor“ ab und an fürs tibetische Exilparlament. Bei der Love Parade wollte man dem Bösen durch den Vertrieb von „Dr. Mottes Heilwasser“ begegnen. Den Erlös hatte man an „soziale Basisprojekte“ überweisen wollen. Das klappte dann doch nicht. Vor ein paar Wochen waren auch noch Flyer im Gespräch, auf denen man die Love-Parade-Besucher auffordern wollte, jeweils eine Mark an verschiedene Basisgruppen zu spenden. Daraus wurde dann aus verschiedenen Gründen (Müllvermeidung) auch nichts.
Anderes wird dagegen wohl klappen. Vor einem Jahr wurde Hegemann für seine Idee, einen mehrstöckigen „Techno-“ oder „Tresor-Tower“ zu bauen, noch belächelt. Inzwischen stehen die Chancen zur Realisierung ganz gut. Das Münchner Investorenpaar Kottmair, das den superzentralen Leipziger Platz bebauen wird, zeigt sich jedenfalls sehr interessiert. Den „Tresor“ an alter Stelle wird es zur nächsten Love Parade vielleicht schon nicht mehr geben. „Der kommt weg. Wir haben aber zur Bedingung gestellt, daß die Stahlkammer in Segmenten oder so, wie sie ist, rausgenommen und dann wieder in den Tower eingesetzt wird. Auf den Tower möchte ich am liebsten ein Trojanisches Pferd haben. Mindestens 25 Meter hoch und aus Bronze gegossen. Kostet bestimmt eine Million: Das wär doch was: ein neuer Baal für Berlin. Und für den Fall, daß Techno niemanden mehr interessiert, könnte man im Tower ja auch ein Techno-Museum machen.“
Andreas, der auch im letzten Jahr zum Techno-Freund wurde, sagt, er würde sich auf die Love Parade so freuen wie vor ein paar Jahren auf die Krawalle am 1. Mai. Und daß es in ein paar Jahren vielleicht eine „Hate Parade“ geben würde. Da wär' man dann auch dabei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen