Eisenmanns Grenzen

■ Spitzentriathleten müssen überaus hart trainieren, was gelegentlich auch zu unfreiwilliger Tatenlosigkeit führt

Bruchsal (taz) – Die letzten Tage verbrachte Thomas Hellriegel ungewöhnlich untätig. Meist bastelte er an seinem Fahrrad herum, verbrachte die Zeit mit Lesen oder verfolgte am Nachmittag via Mattscheibe die aufregenden Ritte des Team Telekom quer durch Frankreich. Normalerweise ist solch Müßiggang Hellriegels Sache nicht, und daß der letztjährige Shootingstar unter den deutschen Triathleten ausgerechnet vor dem Europe-Ironman am Sonntag in Roth eine Pause einlegen muß, hat mit der bitteren Erkenntnis zu tun, daß auch dem Körper eines Eisenmannes Grenzen gesetzt sind.

Eine Gürtelrose plagt den 25jährigen seit fast zwei Wochen, beim letzten Bundesliga-Wettkampf für den PV Witten glaubt Hellriegel sich die Viruserkrankung eingefangen zu haben. Kalt war es da, und geregnet hatte es die ganze Zeit, später, beim abschließenden Radfahren, trommelte gar Hagel auf die Triathleten hernieder. Für den vom knallharten Training ohnehin ausgelaugten Körper war das wohl zuviel.

Am Sonntag in Roth wird Thomas Hellriegel also nicht an den Start gehen können. „Solche Signale muß man ernst nehmen“, sagt er, zumal ihn der Arzt vor Folgeschäden im Falle einer Teilnahme gewarnt hat. Zähneknirschend hat der Mann, der im vergangenen Jahr in Roth und auf Hawaii jeweils auf Platz zwei gelandet war und sich damit in die allervorderste Weltspitze der Ironman katapultiert hatte, das eingesehen, obwohl er sonst nicht gewillt ist, Grenzen zu akzeptieren.

„Besessenheit“ nennt das Steffen Große, der Triathlon-Bundestrainer, der keinen anderen Athleten in seinem Kader hat, der einen ähnlichen Trainingswillen zeigt wie der Mann aus Bruchsal. „Was den Belastungsumfang angeht, setzt der Thomas absolute Maßstäbe“, sagt Große, auf einem Infoblatt der deutschen Triathlon Union (DTU) wird Hellriegel nicht umsonst als „Weltrekordler im Trainingsumfang“ bezeichnet. Im letzten Jahr fraß er 800 Kilometer zu Wasser, 18.000 km zu Rad und 4.500 km zu Fuß. Gut 1.250 Stunden war er derart unterwegs, zusammen mit Krafttraining und Gymnastik brachte es Hellriegel auf fast 70 Tage Training am Stück.

„Man muß schon ein bißchen beißen können“, nennt Hellriegel die Grundvoraussetzungen, um im Triathlonsport Erfolg haben zu können. Was weit untertrieben ist, angesichts der Auslese, der sich speziell deutsche Triathleten unterziehen müssen, um einen Platz im A-Kader zu finden und damit die optimale Förderung zu bekommen. Nur für extrem Belastbare ist dort Platz, für knallharte Typen, für Eisenmänner eben.

Und nirgendwo auf der Welt gibt es so viele von ihnen wie in Deutschland. Hellriegel ist nur ein Name, andere heißen Jürgen Zäck (Titelverteidiger in Roth), Rainer Müller-Hörner (letztes Jahr Dritter auf Hawaii und Europameister auf der Kurzdistanz) oder Lothar Leder (8. Hawaii 95). Allesamt sind sie Kinder einer Trainingsmethodik, die ganz auf das Know-how des DDR-Sports setzt. Kein anderer deutscher Sportverband hat sich trainingswissenschaftliche Erkenntnisse der DDR so bedingungslos einverleibt wie die DTU. Zielsetzung: der Platz an der Weltspitze und Gold im Jahre 2000 in Sydney, wo Triathlon erstmals olympisch ist. Dafür, so behaupten Kritiker des DTZ-Systems, werde mit Hilfe eines gnadenlosen Trainingspensums brutal selektiert, im Zweifelsfalle ohne Rücksicht auf Einzelschicksale.

Thomas Hellriegel empfindet dies nicht als Bürde. Er schwimmt, fährt Rad und läuft, weil Triathlon „eine Lebenseinstellung“ ist. „Wenn man die Chance hat, in Hawaii zu gewinnen, dann wird man alles dafür tun“, sagt er.

Drei, vier Wochen Pause muß er noch machen. Der überstrapazierte Körper soll erst einmal regenerieren, bevor er wieder Hunderte von Kilometern zu fressen kriegt. Ende August will Hellriegel dann einen Test beim Canadian Ironman einschieben, „um zu sehen, wo's mir noch fehlt“. Und dann steht auch schon Hawaii an. Das Ziel hierfür hat Bundestrainer Große formuliert: „Wer in Hawaii einen zweiten Platz geholt hat, der muß natürlich nach dem ersten schielen.“ Frank Ketterer