Das Portrait
: Der Späteinsteiger

■ Amschel Rothschild

„Zu nett für einen Banker“, sagen manche Mitarbeiter über Amschel Rothschild. Der 41jährige Sprößling einer der ältesten Bankiersfamilien der Welt hatte es jahrelang vorgezogen, sich mit seiner Farm in Südengland und mit Rennmotorrädern zu befassen. Erst 1987 stieg er – mehr aus Familiensinn denn aus Leidenschaft – in die Londoner Bank „N.M. Rothschild & Sons“ ein, wo er als künftiger Direktor gehandelt wurde. Am Montag dieser Woche fand ein Zimmermädchen den verheirateten Vater dreier kleiner Kinder tot in einem Pariser Nobelhotel. „Herzversagen“ lautete die inzwischen verworfene erste Erklärung der britischen Presse – „Selbstmord durch Erhängen“ die von der französischen Polizei verbreitete.

Der 41jährige trug den Namen des Urahnen Meyer Amschel Rothschild, der sechs Generationen zuvor, im Jahr 1766, das Bankhaus in Frankfurt am Main gründete und die Familie damit aus dem jüdischen Ghetto herausholte. Seine Söhne – die Töchter sind bis heute von der Leitung des Familienbesitzes ausgeschlossen – verteilten sich über Europa und eröffneten Filialen in Paris, Wien, Neapel und London, die sich bald eng mit den unterschiedlichen patriotischen Entwicklungen verbanden. So begründete der britische Zweig der Rothschilds seinen Ruhm mit der Unterstützung des Kriegs von Wellington gegen Napoleon und mit der Beschaffung von Anleihen für die britische Regierung. Heute ist die 1803 gegründete Bank Expertin für Privatisierungen – sie beriet Margaret Thatcher in den 80er Jahren – und für die Verwaltung großer Vermögen. Der verstorbene Amschel Rothschild war nicht nur enger Mitarbeiter seines Vetters, des Bankdirektors Sir Evelyn, sondern leitete auch die in Schwierigkeiten befindliche firmeneigene Vermögensverwaltung sowie die Versicherung „Sun Alliance“.

Auch nachdem sich die Konkurrenz längst mit ausländischen Finanzinstituten zusammengetan hat, halten die Rothschilds an ihrer Familienstruktur fest. Sir Evelyn, der für seinen autoritären Führungsstil bekannt ist, hat bereits vor Jahren erklärt, wer als Nachfolger in Frage käme: Amschel oder sein Pariser Vetter David. Dessen einziges Handikap für die Spitzenkarriere in der britischen Bank ist sein französischer Paß. Dorothea Hahn