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Mörder bleiben am liebsten unter sich

Wie Burundi sich gegen die geplante Eingreiftruppe wappnet: „Sportgruppen“ aus jungen Tutsi marschieren durch die Hauptstadt, die Hutu-Rebellen werden aktiver. Die Regierung streitet nur  ■ Aus Bujumbura François Misser

Nacht bricht herein, die Maschine der belgischen Fluglinie „Sabena“ beginnt ihren Anflug auf Burundis Hauptstadt. Kurz vor der Landung bittet die Bordbesatzung die Passagiere, die Kabinenfenster zu verdunkeln – aus Sicherheitsgründen. Wenige Tage zuvor hat die Hutu-Guerilla „Kräfte zur Verteidigung der Demokratie“ (FDD) in Burundi die Teefabrik von Teza angegriffen – mit Raketen. Fürchtet „Sabena“, daß die Guerilla als nächstes ein Passagierflugzeug abschießt, um die Hauptstadt Bujumbura weiter von der Außenwelt zu isolieren?

In Burundi herrscht Krieg. Die Hutu-Rebellen sabotieren Stromlinien und Wasserleitungen, sie schießen auf alle Fahrzeuge in ihrer Reichweite, vor allem seit Regierungssoldaten begonnen haben, Zivilfahrzeuge zu benutzen. Die Spannung steigt weiter, seit ein Gipfeltreffen im tansanischen Arusha am 25. Juni eine ostafrikanische Militärintervention in Burundi beschloß. Die Guerilla verurteilt die Beschlüsse von Arusha, weil sie von dem Gipfel ausgeschlossen war. Die von der Tutsi- Minderheit dominierte Armee ist ratlos: Am letzten Montag, während der Hutu Ntibantunganya und der Tutsi Nduwayo vor dem Jahresgipfel der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) in Kamerun ihre Differenzen ausbreiteten, stationierte das Militär aus Furcht vor einem Angriff Panzer in Mutanga, einem Stadtviertel von Bujumbura. Der Angriff kam einen Tag später, an einem anderen Ort: Die Kaserne von Muzinga wurde mit Raketen beschossen.

„Volkswiderstand“ gegen das feindliche Ausland

Über Radio und Fernsehen erfährt die Bevölkerung in Bujumbura, daß sich die beiden führenden Politiker des Landes über eine Intervention nicht einig sind. Das Präsidialamt läßt ausländische Diplomaten wissen, daß das geplante Eingreifkontingent mit Soldaten aus Uganda, Tansania und Äthiopien mindestens so groß sein müsse wie die burundische Armee und eine Polizeitruppe formieren solle. Der Premierminister und seine Partei „Uprona“ wittern dahinter den Versuch, die Armee zu neutralisieren und eine Hutu-Parallelarmee aufzubauen, die sich dann mit der Guerilla vereinen könnte. Viele Führer der „Frodebu“-Partei des Präsidenten, unter anderem der Sicherheitschef, sind zur Guerilla gestoßen, und der Premierminister wirft öffentlich dem Präsidenten vor, enge Beziehungen zu „Völkermördern“, sprich den Rebellen, zu unterhalten.

Auf Kundgebungen in Bujumbura fordern Tutsi den Rücktritt des Präsidenten, der mit dem feindlichen Ausland Komplotte schmiede. Sie kritisieren, daß ausländische Diplomaten – die der USA ausgenommen – die FDD- Guerilla nicht verurteilen würden, obwohl diese gerade für den Angriff auf die Teefabrik von Teza mit 95 Toten die Verantwortung übernommen haben. Wenn die Armee Massaker begehe, würden die westlichen Diplomaten sofort an den Ort des Geschehens reisen; aber sie hätten die Einladung der Regierung ausgeschlagen, den Schauplatz des Teza-Massakers zu besichtigen.

Die geflüchteten Überlebenden von Teza liegen im Krankenhaus der Provinzstadt Muramvya. Sie beschreiben die Angreifer als „Horde“ von 1.500 bis 2.000 Personen, die tanzten und sangen: „Wir werden die Tutsi umbringen. Dank sei Nyangoma (Führer der Hutu- Guerilla, d.Red.), der uns Waffen gegeben hat“. Unter der Menge hätten sich Hunderte Männer mit Gewehren und Handgranaten befunden, und auch Frauen und Kinder mit Stöcken und Macheten. Es seien auch Weiße dabei gewesen. Dieses Gerücht dürfte vor allem die verbliebenen weißen Ausländer in Burundi beunruhigen.

Der von den Tutsi-Oppositionsparteien beschworene „Volkswiderstand“ gegen die „Intervention“ nimmt Form an. Bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang marschieren Kolonnen von Hunderten junger Männer und Frauen im Laufschritt durch Bujumburas Straßen, angetrieben von Ausbildern. „Sie machen Sport“, sagt Déo Niyonzima, Leiter der sogenannten „Jugendsolidarität für die Verteidigung der Minderheiten“ (Sojedem), die gegen die Interventionstruppe zu den Waffen greifen will. Jeden Tag wird das kriegerische Gesicht der „Sportgruppen“ deutlicher. „Wie die Inkatha!“ sagt ein Passant unter Bezug auf die südafrikanische Zulu-Bewegung, als wieder einmal eine Gruppe junger „Sportler“ mit Helmen und Stöcken vorbeiläuft.

„Die Tutsi gehen zur Guerilla“, warnt Mathias Hitimana, Führer der radikalen Tutsi-Gruppierung „Partei zur Volksversöhnung“, und fügt hinzu: „Es ist alles vorbereitet. Wir werden nicht mehr wehrlos sein wie 1993“. Damals waren viele Tutsi ums Leben gekommen, als Hutu-Politiker nach der Ermordung des gewählten Präsidenten Ndadaye in einem Putschversuch von Tutsi-Soldaten zum Widerstand aufriefen.

„Wenn du in Burundi an der Macht teilhaben will, mußt du eine Gruppe bilden“, erläutert Déo Niyonzima. „Du mußt Leute umbringen. Dann hat man Angst vor dir und du kannst verhandeln.“ Die Tutsi-Gruppenchefs Niyonzima und Hitimana wollen den Präsidenten mit Streiktagen nach dem Motto „Operation Geisterstadt“ zum Rücktritt zwingen. Unter dem Eindruck dieser Diskussion greifen auch friedliche Tutsi zu den Waffen. „Ich muß mich doch verteidigen, wenn ein tansanischer Soldat in meinen Garten kommt“, sagt einer.

Die in Bujumbura verbliebenen Hutu leben in Angst. Sie achten darauf, vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein, weil danach die Tutsi-Milizen die Straßen beherrschen. Bisher wurden bei jeder „Operation Geisterstadt“ in Bujumbura Hutu gelyncht. Die Agitatoren von heute, sagt Burundis Parlamentspräsident Léonce Ngendakumana von der Hutu-dominierten Partei „Frodebu“, sind identisch mit den Putschisten von Oktober 1993. Die Armee hingegen unterstütze den Eingreifbeschluß von Arusha.

Das aber ist nicht klar. „Ich habe noch nie geglaubt, daß ausländische Militärs den Frieden wiederherstellen können“, sagt Verteidigungsminister Firmin Sinzohiyeba. „Ich erwarte von diesen Armeen nichts.“ Für ihn ist undenkbar, daß eine ausländische Truppe in Burundi „die Regeln diktiert“. Höchstens dürften 5.000 Soldaten kommen, nur mit einfachen Gewehren bewaffnet und mit burundischer Beteiligung am Kommando. Die höheren Armeeoffiziere trauen weder dem tansanischen Vermittler Julius Nyerere noch Ugandas Präsident Yoweri Museveni, obwohl letzterer als Tutsi-Freund gilt. Sie denken, daß die beiden mit westlicher Finanzierung ein anglophones Kondominium in Burundi errichten wollen.

Die Stimmung in der Regierung ist grauenhaft. Ein Minister will nicht unter einer bestimmten Nummer angerufen werden, da das Präsidialamt dieses Telefon abhöre. Der Staatsapparat löst sich auf. Als der Präsident zum OAU- Gipfel abfliegt, boykottieren die Minister der Tutsi-Parteien seine Verabschiedung.

Außerhalb Bujumburas ist die Lage auch nicht besser. 60 Prozent aller Schüler – die meisten Schüler Burundis sind Hutu, entsprechend der Bevölkerungsverteilung – seien in den Untergrund gegangen, sagt Verteidigungsminister Sinzohiyeba. Die Rebellen seien gekleidet wie Bauern, sagt er, und bewegten sich wie Fische im Wasser. Die Manöver des Feindes seien schwer zu überblicken, da die Guerilla in kleinen Gruppen agiere und zum Beispiel Kalaschnikow-Gewehre in Bohnen- oder Kohlesäcken transportiert würden. Sinzohiyeba gibt zu, daß die Gegenschläge der Armee nach Rebellenagriffen auf Militärkonvois regelmäßig auch Unbeteiligte treffen.

Doch immer noch wagen sich Lastwagen und Sammeltaxis auf die Straßen Burundis. Es ist ein riskantes Glücksspiel. Auf der Überlandstraße hinter Bugarama halten mehrmals Armeesperren die Wagen an. Einmal ist eine Patrouille aufgeregter Soldaten zu sehen: Sie wurden gerade beschossen, jetzt haben sie einen Gefangenen gemacht. Wie werden sie sich verhalten, wenn Tansanier oder Ugander bei ihnen eintreffen? Ein hoher Offizier ist sich sicher: Wenn der Krieg weitergeht, wird er „ein anderes Gesicht annehmen“.

Aber wie lange kann das alles noch weitergehen? Beim Gipfeltreffen von Arusha sagten Diplomaten voraus, daß der burundische Staat seine Beamten höchstens noch fünf Monate lang bezahlen kann. Das burundische Finanzministerium sieht das anders: Der Staat wird eben Investitionen streichen und seine Automobilflotte verkaufen. Der Bierkonsum, aus dem der Staat über eine Kriegssteuer inzwischen einen Großteil seiner Einnahmen bezieht, wird durch den Konflikt nicht beeinträchtigt.

Wer in Burundi noch wirtschaftlich tätig ist, hat inzwischen seine Überlebensstrategien entwickelt. Die zerstörte Teefabrik von Teza lieferte ein Viertel der burundischen Teeproduktion; zehntausend Menschen lebten von ihr, Arbeiter, Pflanzer und Pflücker. Jetzt wird die Produktion auf drei andere Fabriken verlagert, die verstärkten Schutz erhalten. Trotz der täglichen Auseinandersetzungen wird auf dem Land gearbeitet. Generatoren ersetzen zerstörte Strommasten. Auch die Vertriebenen und Flüchtlinge kultivieren den Boden, wo sie können. Selbst neben dem Präsidialamt in Bujumbura grasen Kühe. Der Staat hofft, daß die Gehälter mindestens bis April 1997 sicher sind – auch die der Militärs, die ein Fünftel des Staatshaushaltes bekommen.

Die Regierung richtet sich auf einen langen Krieg ein. Wenn das Ausland falsch reagiert, behauptet „Uprona“-Chef Mukasi, könnte daraus eine sofortige Apokalypse werden. Eine Einschüchterung? Politische Äußerungen in Burundi gleichen Pokerzügen.

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