Rußland will schwimmende AKW bauen

■ Atomenergielobby versucht jede Marktlücke zu nutzen: Mobile Kraftwerke für Sibirien und Ostasien, der Prototyp wird angeblich schon nächstes Jahr gebaut

Murmansk (taz) – Im kommenden Jahr soll auf einer Werft im nordrussischen Murmansk der erste Prototyp eines schwimmenden AKW gebaut werden. Vom Atomenergieministerium in Moskau und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien wird ihm eine große Zukunft vorhergesagt: Auf Spezialschiffen untergebrachte Atomreaktoren, die sowohl den Antrieb für die Schiffe selbst liefern, als auch verwertbaren Strom von bis zu 70 Megawatt direkt zum Verbraucher transportieren sollen. Gedacht als billige Stromquelle für die Weiten Nordostsibiriens, aber auch als Exportware für Länder wie Indonesien, China und die Philippinen.

Das aus den russischen Atomeisbrechern weiterentwickelte Konzept wurde vom Atomforschungszentrum des Kurchatovinstituts in Moskau mittlerweile bis zur Baureife vorangetreiben. Zwei Reaktoren sollen in ein Schiff von der Größe eines mittleren Frachters eingebaut werden. Die Kosten belaufen sich nach Angaben Andrej Gagarinsky, Leiter des Kurchatov-Instituts, auf nicht mehr als etwa 250 Millionen Mark. Bei einer Leistung von 70 Megawatt pro Reaktorschiff (50 Mann Besatzung) kann angeblich Strom zu einem Fünftel der Kosten erzeugt werden, die momentan an der Eismeerküste und in Sibirien anfallen. Desweiteren entfällt die Verlegung teurer Stromleitungen durch weite, unbewohnte Gebiete, da das Schiff direkt bis zu den Verbrauchsstellen fahren könne. Die Pläne für das erste von insgesamt 15 Schiffen sind bereits so konkret, daß der Einsatzort des Schiffes feststeht: Pevek im äußersten Nordostsibirien, östlich der Kolyma-Mündung. Das Schiff könne dort zehn bis zwölf Jahre ununterbrochen im Einsatz sein, bevor es zum Austausch der Brennelemente zurück nach Murmansk kommen müsse.

Ein kleineres Modell für ein Reaktorschiff wird derzeit beim Atomforschungsinstitut Ippe in Obninsk, südlich von Moskau, entwickelt. Hier setzt man auf Schiffe mit lediglich rund 8.000 Bruttoregistertonnen, einer Besatzung von 25 Personen und zwei Reaktoren mit zusammen 12 Megawatt, mit denen kleinere Siedlungen bis zu 10.000 EinwohnerInnen und Industriebetriebe elektrifiziert werden könnten. Anatolij Zronikow von Ippe rechnet mit einem Baustart für diese Modellreihe in etwa zwei Jahren. Mit einer Werft in St. Petersburg habe man bereits eine konkrete Zusammenarbeit. Großes Interesse für die schwimmenden AKW gebe es bereits aus dem asiatischen Ausland, behauptet das Atomenergieministerium in Moskau. Laut David Kyd, Sprecher bei IAEO in Wien, wäre es beispielsweise für Indonesien ein maßgeschneidertes Konzept, die vielen kleinen Inseln mit Energie aus schwimmenden AKW zu versorgen, anstatt große Kraftwerke mit teuren Leitungen zentral zu bauen.

Nicht ganz so enthusiastisch ist Oddbjörn Sandervåg, Chef für Reaktortechnik bei der staatlichen schwedischen Kernkraftinspektion in Stockholm: „Zwar wurden die atomgetriebenen Eisbrecher offenbar bislang relativ störungsfrei betrieben, die Russen haben auch Erfahrung auf diesem Gebiet.“ Aber die Technik fordere eine hochausgebildete und kompetente Besatzung: „Man kann sich fragen, ob man die findet bei der Aussicht, einige Jahre auf einem Schiff in Sibirien oder vor der Küste Indonesiens totzuschlagen“, so Sandervåg.

Passiere aber ein Unglück mit den relativ ungeschützten Reaktoren, gelangt Strahlung direkt ins ansonsten als Kühlwasser dienende Meer. Dann müßten die bisherigen Katastrophen mit Tankerhavarien und Ölplattformen vergleichsweise als Kleinkram angesehen werden. Reinhard Wolff