Gesteinigt und berauscht

Technikeuphorie und Kritik am Beispiel Raumfahrt – das Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld zeigt „Stoned Moon“, eine in Cape Canaveral entstandene Serie von Druckgraphiken des Amerikaners Robert Rauschenberg  ■ Von Matthias Kampmann

Ein abstrakt-expressionistischer schwarzer Farbnebel ist zu sehen, mehr nicht: „Fuse“, der Titel der Lithographie von Robert Rauschenberg, kann übersetzt Zündung bedeuten, aber auch Sicherung. Gemeint ist der Start von Apollo 11 im Juli 1969. Der dunkle Eindruck von einem strahlenden Ereignis in der Geschichte der Menschheit? Die Arbeiten des 1925 geborenen Künstlers lassen einen stets im unklaren über die Absicht, und auch die Stellungnahmen Rauschenbergs zu seinem Werk sind Appelle an die Autonomie der BetrachterInnen, denen er keinerlei Vorgaben machen will. Das Blatt ist Teil der Graphikreihe „Stoned Moon“, die derzeit im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum ausgestellt wird.

Rauschenberg war damals beim Mondabenteuer der Nasa live dabei. Die Nasa hatte 30 Künstler geladen, die dieses Ereignis miterleben und darstellen sollten. Von offizieller Seite angesichts von Vietnamkrieg, Wirtschaftskrise und den Protesten der amerikanischen Jugend als propagandistischer Schachzug gedacht, erfüllen Rauschenbergs Beobachtungen im Kontrollzentrum Cape Canaveral in Florida diese Vorgabe keineswegs – auch wenn der Künstler selbst von der damaligen Technikeuphorie ergriffen war.

Fällt der Name Robert Rauschenberg, assoziiert man sogleich die Wegbereitung der Pop-art durch die Combine-Paintings, die malerisch den abstrakten Expressionismus ausbalancierten und die Nouveau-Dada-Bewegung in Gang brachten. Schon 1958 stellte der Sohn einer Indianerin und eines Deutschen bei Leo Castelli aus. Mit 33 Jahren war er bereits ein Star. Der Künstler entwickelte sich in einer Zeit des Übergangs. Die individualistische Malerei des abstrakten Expressionismus war Ende der 50er Jahre fragwürdig geworden. Diese Schwellensituation spiegelt sich in seinem Werk.

In „Hybrid“ von 1970 etwa hat Rauschenberg mehrere vorgefundene Motive übereinandergelegt. Er konnte dabei auf das Bildmaterial der Raumfahrtbehörde zurückgreifen. Links oben startet die Rakete. Ein gelber Reiher hockt am oberen Bildrand, rechts unten befinden sich Palmen. Wie ein zerkratztes Dia erscheint das Mondfahrzeug, daneben erkennt man eine Bretterwand. Das Bild wirkt dekomponiert. Natur und Technik vereinigen sich hier oder bilden einen Gegensatz – beides ist möglich. Zunächst scheint das Ganze als Kommentar zum Thema angelegt, dann erst kommt die Verlagerung in den Kunstdiskurs. So geschwind gemalt wurde, so schnell überholte sich das Gestische.

Rauschenberg war begeistert von der Technisierung und fand ihre neuen Möglichkeiten faszinierend. Dafür spricht auch das Medium Graphik, die im allgemeinen Taumel um Raumfahrt und Kernkraft einen Boom ohnegleichen erlebte.

Der Gigantomanie des Raumfahrtprogramms entsprechen auch zwei extrem großformatige Arbeiten. Die beiden zwei Meter hohen Drucke, bei deren Herstellung sechs Helfer mitarbeiten mußten, tragen die Titel „Waves“ und „Sky Garden“ (beide 1969). Sie zeigen neben Konstruktionszeichnungen der Rakete auch Partien eines Siebdrucks – Technik der Darstellung und dargestellte Technik sind eins geworden. Auch wenn Rauschenberg seine Kunst nie als Kritik sah, strahlenden Optimismus spiegelt sie genausowenig. Denn da bremsen in „Brake“ die Bilder der drei Astronauten, die bei einem Apolloflug starben, die Euphorie ab. Und dem heutigen Betrachter fallen die Titel auf. Sie sind zumeist doppeldeutig: „Stoned Moon“, entstanden in den Jahren von 1969 bis 1970, kann neben „berauschtem Mond“ gleichermaßen „gesteinigter Mond“ heißen. So findet sich in den Bildern die Vermessenheit des Menschen in seinen Ansprüchen wieder, die Welt und das All zu besitzen.

In Krefeld sind 29 Blätter unterschiedlichen Formats zu sehen. Unklar ist allerdings, wieviel die Serie, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann, umfaßt. In mehreren Schüben herausgegeben, schwankt die Zahl der einzelnen Auflagen zwischen 28 und 33. Neben Krefeld besitzt auch Köln diese Folge, allerdings um ein Blatt erweitert. Exaktere Angaben können nicht gemacht werden, da es kein Werkverzeichnis der Graphiken Rauschenbergs gibt. Leider werden die Blätter wegen der üblichen kommunalen Finanzmisere weiterhin unkommentiert und unveröffentlicht bleiben.

Bis 25. August, Kaiser-Wilhelm- Museum, Krefeld, Di–So, 11–17 Uhr