Unterm Strich

Als annähernd klar war, daß die Love Parade 110 Millionen Mark Umsatz für Berlin bringen würde (siehe auch Seite 3), kam Berlins Staatssektretär Wolfgang Baroner endlich auf die Idee, diese „weltweit größte Demonstration der Jugend der neunziger Jahre“ spiele eine „wichtige Rolle in der Imagegestaltung für Berlin“. Viele Gäste von heute seien die Entscheider von morgen. Auch der Bielefelder Jugendforscher Hurrelmann riet Eltern, ihren Kindern die Teilnahme nicht zu verbieten.

Die Auflösung der Philharmonie Suhl durch die Thüringer Landesregierung hat die Deutsche Orchestervereinigung als einen in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesenen kulturfeindlichen Akt bezeichnet. Für das Kulturland Thüringen komme dieser Schritt einem politischen Desaster gleich, hieß es in einem am Freitag verbreiteten Schreiben. Die Musiker-Gewerkschaft kündigte an, alles Mögliche zu tun, um den namhaften Klangkörper zu retten. Das Thüringer Kunstministerium hatte am Donnerstag bestätigt, daß ein Erlaß zur Auflösung des renommierten Orchesters ergangen sei (erste Kündigungen zum 25. Juli). Damit würde nach Angaben von Orchesterdirektor Bodo Dresen erstmals seit der Wiedervereinigung ein Sinfonieorchester völlig von der Bildfläche verschwinden. Als Grund nannte Eberhard Langenfeld, zuständiger Referatsleiter im Erfurter Ministerium, die Weigerung der Stadt Suhl, die bereits vereinbarte Finanzierung des Orchesters zu akzeptieren. Stadt und Land sollen nach Maßgabe des ausgehandelten Vertrages über eine Orchester-GmbH den Sieben-Millionen-Etat der Philharmonie, die bislang in alleiniger Trägerschaft des Landes steht, etwa zu gleichen Teilen tragen. Kommunalpolitiker haben darauf hingewiesen, daß die Stadt mit der Teilträgerschaft des Orchesters finanziell überfordert sei.

Das Nachlaßarchiv des Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951) wird möglicherweise nach Berlin oder Wien verlagert. Nach einem heftigen und jahrelangen Streit zwischen der University of Southern California (Los Angeles) und den Erben des Komponisten haben sich beide Seiten darauf geeinigt, daß die in Los Angeles angesiedelte Universität den auf einen Wert von 75 Millionen Mark geschätzten Nachlaß bis Ende 1998 an die Familie Schönberg zurückgibt. Die Erben, angeführt vom ältesten

Sohn E. R. Schönberg, hatten der Universität vorgeworfen, sich nicht an die Vereinbarungen aus dem Jahr 1973 über eine angemessene Pflege des Nachlasses gehalten zu haben. Der eremitierte Professor Claudius Spies von der Princeton-Universität hingegen nannte die Erben „drei Idioten, die nichts von Musik verstehen“. Es sei empörend, daß sie offensichtlich auch bereit seien, den Nachlaß nach Berlin oder Wien zu transferieren: Der aus Österreich stammende Jude Schönberg hatte 1933 Berlin verlassen und war über Paris in die USA gegangen. Der Streit ging vor allem darum, welchen Platz Schönberg wirklich in der Musikgeschichte hat: „Schönberg ist einfach nicht Beethoven“, soll sich ein namentlich nicht genannter Musikwissenschaftler der Universität dazu sachkundig geäußert haben.

Neuigkeiten von den Bühnen in Stuttgart. Die Bauarbeiten für ein weiteres aufwendiges Musical- Theater haben begonnen. Es soll die Bühne für das Walt-Disney-Erfolgsstück „Die Schöne und das Biest“ werden. Ein Modell des insgesamt 300 Millionen Mark teuren Projekts des Medienunternehmers Rolf Deyhle wurde am Freitag in Stuttgart vorgestellt. In dem zweiten Musical-Theater Stuttgarts sollen rund 1.800 Zuschauer Platz finden. Zudem soll im Dezember 1997 auf dem Gelände ein Filmpalast mit 1.500 Plätzen eröffnet werden. Umgarnt wird das Ganze mit Biergarten, Kneipen und einem Wohnkomplex. Das Musical-Haus soll in nur eineinhalb Jahren fertig und im Dezember 1997 eröffnet werden. Der neue Komplex entsteht gegenüber dem ersten Stuttgarter Musical-Theater, in dem seit Jahren erfolgreich das Stück „Miss Saigon“ läuft.

Die Ära der „zarten Tragödin des Tanzes“, Marcia Haydee, am Stuttgarter Ballett hingegen ist zu Ende. Die Brasilianerin, seit 35 Jahren Erste Solistin des Stuttgarter Balletts und seit 20 Jahren auch seine Direktorin, tritt am 20. Juli von beiden Positionen zurück. Ihre Inszenierung des Ballettklassikers „Dornröschen“ wird an diesem Tag noch einmal im Stuttgarter Opernhaus gezeigt. Die 59jährige verabschiedet sich als Tänzerin am 18. Juli in der Rolle der Madame in Maurice Béjarts Ballett „Gaité Parisienne“ von ihrem Publikum. Als der legendäre britische Choreograph John Cranko im Jahre 1961 die Direktion des Stuttgarter Balletts übernahm, bewarb sich die junge Marcia Haydee bei ihm als Gruppentänzerin, wurde aber als Erste Solistin engagiert. Vor allem in den Hauptrollen von Crankos abendfüllenden Werken „Romeo und Julia“, „Onegin“, „Der Widerspenstigen Zähmung“ und „Carmen“ erlangte Haydee innerhalb weniger Jahre Weltruhm. Zu ihrem Nachfolger in Stuttgart wurde der Kanadier Reid Anderson bestimmt, bis dahin erfolgreicher Chef des National Ballet of Canada in Toronto und schon zu Crankos Zeiten Tänzer in Stuttgart.