: Ein Vorspiel neuer Regierung
Am Freitag wird Botho Strauß' neues Stück „Ithaka“ in München uraufgeführt. Der Held Odysseus räumt blutig mit der demokratischen Herrschaft auf ■ Von Jürgen Berger
Wie keine andere Figur der griechischen Mythologie steht Odysseus für das janusköpfige Gesicht der Aufklärung. Der Listenreiche aus Ithaka ist bereits eine moderne Figur – mit seinem Willen zum Wissen, dem Drang, die eigene Geschichte und die Natur zu beherrschen. Odysseus, dessen List die Natur durch das Anschmiegen an ihre Forderungen betrügt, ist die Figur, an der die „Verschränktheit von Mythos und rationaler Arbeit“ deutlich wird. Die Odyssee ist eine Geschichte von der „Dialektik der Aufklärung“.
Theodor W. Adorno hat das in dem Buch, das diese Formel berühmt machte, in einem Satz auf den Punkt gebracht: „Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts ist die unaufhaltsame Regression.“
Botho Strauß, der seine ersten literarischen Gehversuche inspiriert von Adornos Schriften wie etwa den „Minima Moralia“ gemacht hat, weiß von dieser Aporie. Seine Theaterstücke und essayistischen Kurzerzählungen lebten lange Zeit davon, daß seine Figuren sie in sich trugen und in nervöser Überspanntheit aushielten. Seit Ende der 80er Jahre hat er sich von diesem Grund seines Schreibens entfernt, um sich als großer Vereinfacher zu versuchen. Nachdem er vor drei Jahren mit dem kulturkritischen Essay „Anschwellender Bocksgesang“ das Feuilleton provozierte, wendet er sich nun einer Figur zu, die für seine eigene Fluchtbewegung stehen könnte: Odysseus.
„Ithaka“ heißt sein neues Theaterstück und ist in enger Anlehnung an die Heimkehr-Gesänge der homerischen Odyssee geschrieben. Zehn Jahre hat Odysseus vor Troja gelegen und kehrt nun nach weiteren zehn Jahren der Irrfahrt zu seiner Frau Penelope zurück. Im Palast erwartete ihn ein Haufen von Freiern, an ihrer Spitze Antinoos, der dem als Bettler verkleideten Odysseus einen Schemel in den Rücken schleudert.
Uraufgeführt wird das Stück am kommenden Freitag an den Münchener Kammerspielen. In der Hauptrolle als Odysseus Bruno Ganz, der in einem Interview dem Spiegel sagte: „Es gibt Sätze in diesem Stück, gegen die ich erst mal eine enorme Sperre habe.“ Eigentlich sollte die Premiere Ende des Monats sein, Kammerspielchef Dieter Dorn allerdings, ansonsten eher für das Herauszögern von Premieren bekannt, verlegte um eine Woche vor.
Strauß schreibt in einem kurzen Vorwort: „Dies ist eine Übersetzung von Lektüre in Schauspiel. Nicht mehr, als höbe jemand den Kopf aus dem Buch des Homer und erblickte vor sich auf der Bühne das lange Finale von Ithaka.“
Was also findet dieser Odysseus von Botho Strauß vor, als er zurückkehrt? Er trifft Palast und Ehefrau in einem verwahrlosten Zustand an, der den Strauß-Leser stark daran erinnert, wie im „Anschwellenden Bocksgesang“ die deutsche Wohlstandsgesellschaft und Mediendemokratie beschrieben wurde. Das Stück nur eine „Übersetzung von Lektüre in Schauspiel“? Wohl eher die kaum verrätselte Beschreibung einer überaus heutigen, verkommenen Gesellschaft.
Genau hier wird die Diskussion über „Ithaka“ einsetzen. In den ersten Szenen steht Penelope im Vordergrund: eine über zwanzig Jahre alleinlebende Ehefrau, deren Körper aufgedunsen ist und deren Lüsternheit gerade dadurch in Gang bleibt, daß sie keinen ihrer Freier erhört. Sie paßt in die Reihe der Strauß-Frauen, die seit Ende der 80er Jahre wie Marie Steuber („Zeit und Zimmer“, 1988), Anita von Schastorf („Schlußchor“, 1991) das Leiden an der Mittelmäßigkeit des postmodernen Als-ob vorführen.
„Ithaka“ also ein neues Weltekelszenarium mit den bekannten Straußschen Themen, bloß diesmal in die Antike projiziert? Programmatisch die Sätze, die der Autor Pallas Athene in den Mund legt, nachdem Odysseus sich Sohn Telemach zu erkennen gegeben hat. Vater und Sohn ziehen davon, um ihr Rache- und Aufräumwerk in Angriff zu nehmen, um der Herrschaft der Mittelmäßigkeit im eigenen Haus ein Ende zu bereiten. Athene ruft hinter ihnen her: „Schont euch nicht, ihr mutigen Aufhalter der Zeit, ihr herrlichen Wiederbringer der Heldentage! Möchte euer Werk lieber heute als morgen vollendet sein.“
In der folgenden Szene proben die Freier eine politische Versammlung in der Halle des Palastes. Botho Strauß läßt sie reden, als verhandele eine Rotte sozialdemokratischer Landesfürsten mit leicht debilem Einschlag darüber, wie sie ihre Landesinteressen in Bonn wahren und die Macht des Herrschers am besten einschränken könnten. Antinoos, aussichtsreichster Freier der Penelope: „Ich werde folgendermaßen beginnen. Ziel aller Beschlüsse unserer Versammlung sind Wohlfahrt und Friede unserer Völker. So fange ich an.“ Daß jeder dieser haltlos plappernden Demokratiehansel in Wahrheit egoistische Einzelinteressen verfolgt, ist klar.
Wo die Sympathien des einst links angehauchten Botho Strauß liegen, ist auch bald klar – bei Odysseus, dem Wiederhersteller einer schönen alten Welt geistiger Ordnung. Odysseus als Held, der mit dem degenerierten „Demokratismus“ aufräumt? Das ist eine gewagte Verdrehung einer der Ursprungsmythen unserer Kultur, denn die Anfänge des griechischen Dramas gelten als Versuch, das Theater als Ort des öffentlich-demokratischen Diskurses zu behaupten.
Das Stück enthält auch eine bezeichnende Urszene der Xenophobie: Als Odysseus zum ersten Mal in Bettlergestalt den Freiern gegenübertritt, sagt Antinoos: „Halt's Maul! Du ausländische Mißgeburt.“ Das erste „fremdenfeindliche“ Wort kommt aus dem Munde des obersten Demokratiehansels. Man darf das vor dem Hintergrund des „Bocksgesangs“ vielleicht so lesen: Ausländerfeindliches Ressentiment ist der direkte Ausfluß einer fetten und müden Demokratie.
Die Diagnose des Helden Odysseus lautet: „Nichts unheilvoller als ein Bündel Edelleute ohne den Fürsten. Sie denken und herrschen nach Art der Fellachen, da ihnen keiner im Rang voransteht. (...) In den Kammern quieken die Mägde beim Beischlaf. Welch wüstes Gesindel befiehlt die Geschicke von Ithaka. (...) Hier tagt keine Versammlung von Freiern mehr, dies ist ein Vorspiel neuer Regierung. Niemanden siehst du, der noch der Nebenbuhler des anderen wäre, ein Widerstreiter nach alter Sitte. Längst sind die Schwächlinge untereinander verbündet und erstreben gemeinsam Macht.“
Es mögen solche Passagen sein, gegen die Bruno Ganz eine „enorme Sperre“ gespürt hat. Er mag sich etwa gefragt haben, was eigentlich an dem vergnüglichen Quieken der Mägde auszusetzen sein sollte und warum gerade der orientalische Fellache als Muster niederer Denkungsart herhalten muß.In dieser trostlos nivellierten Welt, die nur darauf wartet, hinweggefegt zu werden, stecken auch die Frauen tief im Sumpf der Mediokrität. Am Ende der eben zitierten Szene lautet die Regieanweisung: „Aus den oberen Gemächern das Lachen der Penelope...“ Da sitzt sie und läßt sich von einem Freier unterhalten. „Unmenschliches Warten entartet den Menschen“, kommentiert dies unten in der Halle der nicht minder unwürdige Amphimedon.
Aus dem Chor des griechischen Dramas sind bei Strauß Handgelenk, Knie und Schlüsselbein einer Frau geworden. Sprechende Körperteile, die demonstrieren, daß das allgemeine Bewußtsein vom rechten Handeln inzwischen nur noch als fragmentiert-körperliche Befindlichkeit laut wird. Wenn die drei Körperteile sprechen, tun sie das etwas mißlaunig, als griffe der Autor selbst in das Geschehen ein.
Am Ende dann noch einmal eine Kurzlektion in Straußscher Mythenverklärung: Odysseus hat alle Freier gemeuchelt und von Athene unbegrenzte Absolution erhalten. Dann kommt Penelope, „seltsam verjüngt“, und küßt den Rachegatten verführerisch. Aus dem lüsternen Aschenputtel ist ein aufgegeilter Vamp geworden, der Geistesaristokrat darf sich nach getaner Aufräumarbeit nun auch dem körperlichen Genuß hingeben – und wir dürfen gespannt sein, was die Münchener Kammerspiele unternommen haben, um diesen Text am kommenden Freitag zu retten.
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