Zum Schießen schön

■ Welche Bilder machen sich Fototouristen von der Hansestadt? Die fünf ungeschriebenen Gesetze der Urlaubsknipserei im Überblick

Ach, Fotos! Wer braucht denn Fotos, heutzutage? Dmytry holt zu einer großen, ukrainischen Geste aus: „Fotos sind tot, wie ein lebloser Stein!“ Wenn Dmytry im Urlaub Erinnernungsbilder braucht, dann nimmt er seine Frau und seine Videokamera mit. Mit der Kamera schwenkt er dann – „in einem Zuge, ungeschnitten!“ – die Kulisse (sagen wir mal:) des Bremer Marktplatzes ab, „mit all den Menschen, das muß leben, damit es nicht nur wie ein historischer Platz wirkt“, und wie zufällig streift der Schwenk dann auch das lächelnde Antlitz von Frau Lina, die irgendwo unter den anderen Touristen im Marktplatzgewimmel steht.

Daheim in Kiew werden Dmytry und Lina, vor den heimischen Videorecorder gekuschelt, wohl lange von jenem schönen Tag in Bremen schwärmen, damals, im strengen Sommer '96. Und mit ihnen ein paar tausend andere Menschen, von Tokio bis Tennessee, die ungefähr die selben Ansichten aus Bremen mitgenommen haben. Denn was die Städtetouristen an einzigartigen Erinnerungsbildern produzieren, folgt einem zwar ungeschriebenen, aber genau festgelegten Reglement. Ob Video, Dia oder Foto: Die Konventionen für einmalige Eindrücke werden weltweit eingehalten, Bild für Bild, im Minutentakt der Schnappschüsse.

Als oberster Grundsatz gilt natürlich: Die Mutti muß mit drauf. Wenn Mutti selber knipst, rücken die Kinder nach bzw. vor die Linse. So hangeln sich z.B. Petra Hiekel (Berlin) und ihr Maik durch die Bremer Innenstadt. Der lange Maik vorm Roland, Maik im Schnoor, Maik im bunten Blumenmeer am Liebfrauenkirchhof. „Damit man zuhause sagen kann: Wir waren da“, sagt Frau Hiekel. Zum Beispiel bei den Marcks'schen Stadtmusikanten. „Sehr modern“, aber – der Vorwurf darf nicht fehlen – „die hab' ich mir doch schon größer vorgestellt“. Maik postiert sich routiniert vor des Esels Hufen, lächelt etwas unsicher, Mutti drückt ab, die nächsten Fototouristen rücken nach, „können sie ein wenig zur Seite gehen“, fragt ein Trupp fröhlich durchnäßter Schwaben.

Zweitens: Nur nicht lange fackeln. Je rascher die vorgeschriebenen Attraktionen abgeknipst sind, umso mehr Zeit bleibt für andere Dinge – z.B. für die Weiterfahrt nach Hamburg oder Hameln. Meisterinnen dieser Kunst sind Lynn (Florida) und Susan (Memphis, Tennessee). Wie schön, daß im Bremer Stadtzentrum alle Sehenswürdigkeiten so hübsch beisammenstehen: Susan dreht wahre Pirouetten mit ihrer Wegwerfkamera (Agfa „Le Box“ Mini). Rathaus, Dom, Parlament, Schütting, Roland, ritsch, ratsch, klick.

Was sie am liebsten knipst? Die deutsche Baukunst. Den Schnoor, mit „all den kleinen Läden“; das Rathaus, „alles ist so wonderful alt – bei uns sind die Kirchen ja höchstens ein, zweihundert Jahre alt“, aber das Bremer Rathaus, nein, „wie lange das schon steht, seit tausenden von Jahren ...“ – „naja, seit hunderten“, korrigiert Lynn den Überschwang der Freundin.

Drittens: Immer schön auf den vorgeschriebenen Pfaden bleiben. Was sich gewinnbringend fotografieren läßt, das ist den Touristen anhand der städtischen Reklame-Broschüren und Ansichtskarten genau vorgegeben. Susan und Lynn haben sich daheim mit einem Video vorbereitet: „Seeing Germany“. Die fotogensten Seiten des Landes im Schnelldurchlauf sozusagen. Empfohlen: der Bremer Marktplatz. Aber weiter reicht die touristische Neugier meistens nicht: Was ist das Ostertor? Wo liegt Walle? „Bürgerpark? Never heard of.“

Schließlich: Die Urlaubsbilder, die eigentlich im Kopf schon fix und fertig entwickelt sind, bevor Papa auf den Auslöser drückt – sie sollen vor allem eine angenehme Erinnerung ermöglichen. Familie Köhler (Chemnitz) z.B. läßt im Labor immer auch einen Abzug für die Kinder (Sechs und Zehn) mitmachen. „Die kriegen ihr eigenes Album“, sagt Papa, „damit sie später wissen, wo wir überall waren.“

Ansonsten aber stehen die Köhlers für jenen Typ Touristen, die alle o.g. Konventionen einfach über den Haufen knipsen. Sie suchen gern mal stille, unentdeckte Winkel auf – die postmoderne Häuserzeile in der „Marterburg“, gleich hinterm heimeligen Schnoor, finden sie „modern, schön anzuschauen“. Und die Familie selbst hält sich schön von Papas Linse fern. Vor dem Roland zu posieren, ist ihnen dann doch zu albern. Wenn sie ein paar Ansichten mitnehmen wollen, sagt Frau Köhler, „dann schicken wir den Papa vor“, der muß knipsen, und Frau und Kinder können sich derweil amüsieren. Thomas Wolff