Verdummte der Insel

■ N 3 zeigt "Gilligans Insel" - leider als Zeichentrick und schon um 8.30 Uhr

„Baywatch“, das sind Muskeln, Dekolletés und ganz viel Wasser. In der Episode „Die Schiffbrüchigen“ aber wichen die Autoren der Rettungsschwimmersaga um einiges vom sonst wenig abwechslungsreichen Schema ab: Der junge Strandwächter Eddie Kramer stürzt, fällt zuerst auf den Hinterkopf und dann in Ohnmacht, erholt sich aber recht bald. Nur wenig später wird er mit einer Kollegin zu einem Einsatz auf hoher See gerufen. Die beiden verlieren die Orientierung und stranden auf einer Insel, wo sie auf den Matrosen Gilligan und dessen Gefährtin Mary Ann Summers treffen – zwei Hauptfiguren des Sitcom-Klassikers „Gilligans Insel“. Eddie hat sich in eine andere TV-Serie hineingeträumt.

Viel zitiert und oft veralbert, haben sich besagter Gilligan und seine Leidensgenossen in der Populärkultur eingenistet und lassen sich kaum mehr austreiben. Mit nur dreijähriger Laufzeit war die 1964 gestartete Fernsehserie nicht gerade ein Dauerbrenner, fand aber – ähnlich wie „Raumschiff Enterprise“ – nach der Übernahme durch lokale Stationen ihr Publikum und ist bis heute eine der meistwiederholten TV-Serien überhaupt. Es konnte denn auch nicht ausbleiben, daß die Geschichte um drei TV-Movies, zwei Zeichentrickserien und sogar eine Musicalversion verlängert wurde. Erstaunlich genug für ein Produkt, das beim Start nahezu einhellig verrissen wurde und dessen Produzenten selbst nicht glauben mochten, daß ihre Kreation auch nur eine Saison überstehen würde. Wie sollte sie auch bei einer Exposition, die kaum Variationen zuließ: Der törichte Matrose Gilligan und sein Skipper Jonas Grumby verchartern ihre Yacht für eine Kreuzfahrt durch pazifische Gewässer. Schiffsgäste sind das Millionärsehepaar Thurston und Lovey Howell, das Starlet Ginger Grant, Professor Hinkley und das schlichte Gemüt Mary Ann Summers. Nach einem Sturm findet sich die kleine Gesellschaft auf einer verlassenen Insel wieder, weit entfernt von jeder Zivilisation.

Auf jenem tropischen Eiland spielten sich alle weiteren Geschichten ab. Trotz dieser Vorgabe schafften es die Autoren der Serie, 98 Episoden mit den Abenteuern der neuzeitlichen Robinsons zu füllen und brachten es sogar fertig, Gaststars in die Episoden hineinzuschreiben, vermieden dabei aber mehr oder minder geschickt, den Schiffbrüchigen Rettung zuteil werden zu lassen. Mal begegneten sie einem japanischen Soldaten, der sich noch im II. Weltkrieg wähnte, mal entdeckten sie einen schusseligen Piloten namens „Wrongway Feldman“ oder sie gründeten eine Musikgruppe, was die Eingeborenen einer benachbarten Insel ob der Lärmbelästigung zu beherztem Eingreifen veranlaßte. Kurzum, es war der pure Humbug, der da über den Bildschirm ging. Minderjährige liebten es und Erwachsene mit ausgeprägt kindischem Gemüt erst recht. Angesichts der Anhänglichkeit des Publikums darf man füglich von einer Kultserie sprechen. Nord 3 zeigt „Gilligans Insel“ ab heute werktags um 8.30 Uhr, betreibt aber Etikettenschwindel – zwar verschickt man Infos über die Originalserie, doch leider gelangt nicht diese zur Ausstrahlung, sondern die 1974 entstandene Cartoonserie „The New Adventures of Gilligan“. Allzugroß ist der Unterschied freilich nicht – die menschlichen Darsteller verhielten sich häufig ebenso ungelenk wie ihre Zeichentrickreinkarnationen. Harald Keller