Zwei Pfund gespart, ohne die Regeln zu verletzen

■ Irlands Wirte haben so ihre Erfahrungen mit den Gästen aus Deutschland, die „wegen der Atmosphäre“ in den Pub gehen und nicht, um ein Guinness zu trinken

„Nichts“, sagt Thorsten aus Leipzig und schüttelt bedauernd den Kopf, „ich möchte wirklich nichts.“ John sieht ihn entgeistert an: „Nimm doch wenigstens eine Coca-Cola oder ein Glas Tee!“ Thorsten läßt sich nicht beirren: „Ich habe keinen Durst.“ Das spiele überhaupt keine Rolle, argumentiert John, man gehe in Dublin unter anderem deshalb in den Pub, um etwas zu trinken. „Ich nicht“, widerspricht Thorsten, „ich gehe in den Pub, weil ich die Atmosphäre mag und mich mit Leuten unterhalten kann.“ Das sei ja großartig, sagt John und rauft sich die Haare: „Die 750 Wirte in Dublin werden vor Freude weinen, weil ihr Deutschen euch bei ihnen so wohl fühlt.“

Tina, Thorstens Freundin, läßt sich nun doch dazu hinreißen, ein kleines Guinness zu bestellen. Als der Kellner zweieinhalb Stunden später zum dritten Mal versucht, das halbvolle Glas abzuräumen, wird Tina böse. Ob er sie etwa zum Trinken verleiten wolle, faucht sie ihn an. „Das Bier ist doch längst hinüber“, wendet der Kellner besorgt ein, „da ist kein Funken Leben mehr drin.“ Möglicherweise sei es sogar giftig, aber genau wisse er es natürlich nicht. Ein so altes Guinness habe in seiner Kneipe noch niemand getrunken. Wen man denn im Falle des Falles verständigen solle?

Andreas ist anders. Er trinkt gerne ein paar Guinness und ist jedesmal, wenn er in den Semesterferien auf die grüne Insel fährt, von der Gastfreundschaft der Iren ganz gerührt. „Das ist jetzt das fünfte Bier“, freut er sich, „und ich habe kein einziges bezahlen müssen. Das geht nun schon den dritten Abend so.“ Da es sich in Irland inzwischen herumgesprochen hat, daß die Deutschen äußerst langsam sind, wenn es ums Zücken der Brieftasche geht, erklärt Paddy ihm die Spielregeln: Wenn das erste Glas am Tisch leer ist, bestellt derjenige unaufgefordert die nächste Runde, der damit an der Reihe ist. Oder: Man steigt gar nicht erst in eine Runde ein.

Andreas kapiert schnell. Er trinkt ein wenig langsamer als die anderen, und wenn er mit seiner Runde dran ist, bestellt er für sich selbst kein Getränk – zwei Pfund gespart, ohne die Regeln zu verletzen! „Kein Wunder, daß ihr die reichste Nation in Europa seid“, brummt Paddy. Deutsche Touristen sind nicht nur der Schrecken der irischen Gastwirte, sondern auch der Kellner und Kellnerinnen. Geht es ans Bezahlen, verlangen sie stets eine getrennte Rechnung, auch wenn der Kassenbon jede Suppe und jedes Wässerchen einzeln aufführt. Manch deutsche Reisegruppe hat schon ganze Speisesäle lahmgelegt, weil Tante Martha aus Bottrop am Ende steif und fest behauptet, den dritten Irish Coffee nicht getrunken zu haben. Das wird dann in der Gruppe diskutiert, und dabei fällt Hans-Georg aus Recklinghausen die Bloody Mary auf seinem Zettel auf, wo er doch nur einen Wodka mit Tomatensaft und Tabasco zu sich genommen hat.

IrInnen haben es da leichter: Sie teilen die Summe durch die Zahl der Gäste. Das mag manchmal nicht ganz gerecht sein, ist ihnen aber lieber als die Pfennigfuchserei. Einige Lokale haben auf ihrer Speisenkarte vermerkt, daß Einzelrechnungen leider nicht in Frage kämen, doch könne sich jeder anhand der verschiedenen Posten seinen Anteil ausrechnen, wenn er möchte. Der Hinweis ist zweisprachig: englisch und deutsch. Ralf Sotscheck, Dublin