Wirbeln für eine bessere Zukunft

■ Zirkus als Botschaft: Der junge „Circus Ethiopia“ bezaubert das europäische Publikum / Ab heute Gastspiele in Bremen

In einer halben Stunde werden sie auf der Bühne stehen. Sie kennen weder dieses Land noch die Leute, für die sie spielen. Doch von Hektik und Nervosität ist bei diesen Kindern und Jugendlichen nichts zu spüren. Das überlassen sie den anderen, den großen Leuten wie den Organisatoren, den Technikern und Beleuchtern. Schließlich sind sie alle noch Kinder, und Kinder haben bekanntlich Besseres zu tun als ungeduldig auf Stühlen herumzurutschen. Also toben sie herum, üben Flic-Flac und Salti oder tanzen zu ihren eigenen Gesängen.

Vor der Bühne auf dem Olden- burger Schloßplatz haben sich schon jetzt, eine halbe Stunde vor Beginn mehr als 3.000 Neugierige versammelt. Sie alle warten auf jenes vielzitierte kleine „afrikanische Wunder“, das sich Circus Ethiopia nennt und derzeit mit einer Europatournee international für Furore sorgt. Nach dem Open-Air-Auftritt zum Start des Oldenburger „Kultursommers“ am Wochenende gastiert die Truppe ab heute drei Tage lang in Bremen.

Die 30 jungen Artisten und Artistinnen stammen aus Äthiopien, einem Land, das als das ärmste unter den Armenhäusern gilt. Für die 8- bis 18jährigen ist Circus Ethiopia eine neue Heimat geworden. Hier finden Ababa, Sosina, Lissan und all die anderen Anerkennung und freundschaftlichen Rat. Hier treffen sie sich nach der Schule, helfen einander bei den Hausaufgaben, sprechen über ihre Arbeit im Zirkus und trainieren zusammen.

Den Zauberstab führt Marc Lachance, kanadischer Lehrer an der internationalen Schule in Addis Abeba. 1991 war es, als ein paar zirkusbegeisterte Straßenkinder Lachance darum baten, ihnen ein paar Kunststückchen beizubringen. Und siehe da, die Kinder zeigten ungewöhnliches Talent und Ehrgeiz. Mit eleganten, geschmeidigen Bewegungen und einer schier unerschöpflichen Energie konnten sie Lachance von einer kontinuierlichen Weiterarbeit überzeugen. Damit war der Circus Ethiopia geboren.

„Für die erste Vorstellung spannten wir ein paar Seile und zapften uns den Strom für den Kassettenrecorder aus dem Zigarettenanzünder eines Autos“, berichtet Lachance. Etwa 700 Freunde und Bekannte, die meisten von ihnen Kinder, waren als Zuschauer eingeladen. Und die waren begeistert.

„Wir haben uns Videos vom ,Theatre du soleil' angesehen,“ erzählt Lachance. „Die Musik, die Tänze, die Kostüme, das hat uns sehr beeindruckt. In den folgenden Jahren haben wir eine eigene Identität daraus entwickelt, mit unseren eigenen Geschichten und einer ganz individuellen Spielweise.“

So erzählt die junge Truppe in ihren Kunststücken Geschichten über das Leben in den Straßen. Von Kindern, die als Schuhputzer arbeiten und als Taschendiebe ihren Lebensunterhalt verdienen, aber auch über Vergewaltigung und Mord schweigen sie nicht. In Ver- bindung mit ethnischen Tänzen, Pantomime und Akrobatik setzen sie dabei ganz auf afrikanische Traditionen und Rituale.

Für viele Menschen in Äthiopien seien die Zirkuskinder zu Aufklärern und Vorbildern geworden, erklärt Lachance. Zu den kostenlosen Aufführungen pilgern zwischen 3.000 und 5.000 überwiegend junge Zuschauer, die ihren Idolen überschwenglich zujubeln.

Auf ihrer Europatournee geht es Lachance und den Kids darum, das Projekt auch international bekanntzumachen, um mehr Geld zu mobilisieren für weitere Zirkusschulen und eine neue Sporthalle. „Diese Show hat nichts mit Entertainment zu tun,“ erklärt Lachance. „Sie ist eine Botschaft, mit der wir für unser Projekt werben wollen.“ Und Akrobatin Sosina fügt stolz hinzu: „Wir erzählen davon, wie die Äthiopier zusammenleben. Wir zeigen unsere traditionellen Tänze und unser turnerisches Talent. Die meisten Europäer halten uns für Diebe, die kein Geld haben und ständig Hunger leiden. Ein schlechtes Image. Wir wollen zeigen, daß bei uns zu Hause nicht alles so traurig und schlecht ist. Damit die Europäer ein besseres Bild von uns bekommen.“ Thomas Lotte

Heute um 17 Uhr im Schlachthof, am 18.7. um 16.30 Uhr im Bürgerhaus Vegesack, am 19.7. nochmals um 20.30 Uhr im Schlachthof