Alles tobt vermutlich, wenn Harry Hass und Thomas Kapielski lesen

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Alles tobt vermutlich, wenn Harry Hass und Thomas Kapielski lesen

Links Thomas Kapielski, Harry Hass rechts und in der Mitte sitzt Erich Maas, der Verleger, und verzieht keine Miene. So sieht das aus, heute abend bei der Lesung in der Kulturbrauerei. Alles tobt, nur der gescheitelte Mann in der Mitte konzentriert sich auf einen Punkt hinter der Backsteinmauer. Erich Maas ist ziemlich berühmt, seitdem er von den literarischen Wendejahren den Rahm abschöpfte, sich quer zu Galrev setzte und BAADER Holst und Wawerzinek verlegte. Als dann die blöden Frankfurter anfingen, den Wenderoman herbeizumunkeln, begann er mit Pulp. Nicht nur Krimis, aber auch: Derek Raymond, Paul Cain. Das dazugehörige Buch hieß „Bubizin/Mädizin“ (Hrsg.: Mario Mentrup) und war zugleich das Maassche Verlagsprogramm für die kommenden Jahre. Einiges aus der amerikanischen Prosaszene – Buddy Giovinazzo, Joe R. Landsdale, Pulp-Mix aus Militaria, Hardboiled, Western und Road Movie. Außerdem Deutsche, zum Beispiel Harry Hass. Sein „Koko Metaller“, der „Fieberjunge, der durch die blauen Labyrinthe seiner Organe flitzt, eine geheime Gravitation in seinem Arschloch“, liegt schon vier Jahre zurück. Der neue Held, den man in seiner Bubizin/ Mädizin-Geschichte „High Noon“ kennenlernt, heißt Rosenstern; ein cooler Bruder von Koko Metaller, den Biodynamik nicht mehr interessiert, ein Verschwörer, Guerillero, Kunstprodukt einer Sprache, die verschwörerisch ist, weil sie vor der Peripetie ins nächste Genre zappt: „Er verließ die Frankfurter Allee durch eine dunkle Seitenstraße. Raskolnikow bretterte auf winzigen Sonnensegeln gleißend in Richtung City. Und tschilpende Spatzen über den Köpfen sonderbarer, huttragender Deutscher. Lalülala brannte wie immer durch die gesperrten Straßen. Ronald Biggs, splitternackt und unsichtbar für die Schergen der Kripo, saugte an einer kubanischen Zigarre.“ Kubanische Zigarren gibt's nur noch im Joint-venture, und der letzte Kreuzberger Poèt maudit liest nicht so oft, deswegen sollte man heute abend schon unbedingt hingehen. Sein Partner Thomas Kapielski hat eine volle Bauchstimme und gerade seine erste Werkschau im Münchener Karl-Valentin-Museum hinter sich. Im Werkkatalog 1979 bis 1996 hat er viel Wissenswertes über sich aufgeschrieben, den gibt es in Wiens Laden. Da lag auch jahrelang seine Scheibe „Gadamer“: Gadamers „Ästhetik des Schönen“ in der Reclamausgabe, mit Luftlöchern. Käse. „Die Vermittlung von dem ganz Anderen jenseits des Scheins ist auf die Vermittlung im Alltag, im Gewöhnlichen und unweigerlich Unzulänglichen angewiesen“, schreibt der Philosoph Hannes Böhringer. Kapielskis Lesungen sind sehr komisch. Darüber schreibt er dann wieder: „Grauenhaft, dieses Geschleiche und Geknister“. So sind die Künstler. Fritz von Klinggräff

Harry Hass/Thomas Kapielski, heute 19 Uhr, in der Kulturbrauerei, Knaackstraße.

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