Ritualisierte Debatte

■ betr.: „Nichts als Karneval?“ von Jan Feddersen, taz vom 25. 6. 96 „Visionär wie ein Trachtenumzug ...“ von Elmar Kraushaar, taz vom 1. 7. 96, „Let's test it!“ von Volker Beck, taz vom 4. 7. 96

Lieber Volker Beck, klar mache ich mit beim CSD. Einfach weil es Spaß macht, und wenn Politik Spaß macht, dann mache ich mit. Doch ich lasse mich weder von Dir noch von anderen Schwulensprechern vereinnahmen.

Für mich ist die Ehe, ob Homo oder Hetero, gleich diskriminierend. Denn ich will nicht heiraten. So. Aber ich will gegenüber Ehepaaren nicht schlechter gestellt werden. Aber genau das ist es, was Du erreichst, wenn Du die Homoehe der Heteroehe gleichstellst und das noch als Erfolg verkaufst. Warum können zwei Menschen, die zusammenleben, nicht die gleichen Vorteile haben? Diese Menschen, die nicht zum Standesamt rennen wollen, bleiben weiterhin diskriminiert. Ob Wohnung, Erbe, Auskunftsrechte im Krankheitsfall, Aufenthaltsrechte bei ausländischen PartnerInnen usw. usf. Warum willst Du dies festschreiben und nicht die Institution Ehe abschaffen? Finanzielle Förderung nur für die, die Kinder aufziehen, egal ob Homo oder Hetero, alleinerziehend oder vielerziehend.

Deine politische Arbeit zielt weiter auf eine Zweiklassengesellschaft: Hier die liebreizend romantischen Homo- und Heteroehepaare und da die schmuddelig, rechtlos zusammenlebenden Homo- und Heteropaare ohne amtlichen Trauschein. Wer befindet sich denn da in einer „seltsamen reaktionären Einheitsfront“? Ich jedenfalls nicht, aber Dein Politikziel ist nicht meins! Roland Schüler

Die Debatte, die verschiedene Repräsentunten der deutschen Schwulenszene in den vergangenen Wochen rund um den CSD in der taz ausbreiteten, ist so ritualisiert, wie es die alljährlichen Aufmärsche in Berlin, Köln und anderswo auch sind. Da werden ein paar kritische Anmerkungen zum höchsten Feiertag von Lesben und Schwulen publiziert, und schon fühlt sich die Gegenseite berufen, die Ehre der feiernden Bürgerrechtsfetischisten wiederherzustellen. Garniert wird das Ganze, wie es sich für zickige Schwule gehört, mit ein paar persönlichen Spitzen, von denen die Akteure glauben, daß sie hinter den politischen Grundsätzen, die sie argumentativ vorschieben, nicht auffallen.

Die eine Seite findet den Aufmarsch der Tunten per se politisch, die andere Seite bestreitet dies, pocht aber auf den Anspruch, daß der CSD eine zutiefst politische Haltung auszudrücken hat, und die dritte versteht jegliche Kritik an Form und Inhalten des hübschen Happenings als konsequenzlose Nörgelei. Das ist so spießig, wie es fruchtlos ist – und kaum ein Schwuler, kaum eine Lesbe im Lande, die derartiges Geplänkel noch ernstnehmen wollte.

Wer glaubt, daß unter den Homosexuellen im Lande so etwas wie eine intellektuelle oder politische Avantgarde zu finden sei, sieht sich hier bitter enttäuscht, wenn politische Feindschaften zum x-ten Male medienwirksam ausgebreitet werden.

So lange sich Schwule mit sich selbst beschäftigen und ihre Grabenkämpfe kultivieren, können sich die Schäubles, Stoibers und Hubers jedenfalls bequem zurücklehnen. Stefan Mielchen, Vorstand

im Schwulen Landesverband

Hessen e.V.

[...] Beck macht Schluß mit „miesepetrigen Trauerzugsritualen“ und „erobert“ statt dessen fröhlich an Rhein und Spree mit Hilfe der „schwuLesbischen Einheitsfront“ die Straßen. Ungeachtet der sichtbaren Kritik sind für ihn sämtliche TeilnehmerInnen der diesjährigen CSD-Umzüge auch für die von ihm favorisierte Homoehe auf die Straßen gegangen. Nun hofft er wohl, daß bald ein Sturm über die deutschen Standesämter hereinbrechen wird.

In Dänemark haben übrigens von 260.000 lesbischen und schwulen Menschen (bei fünf Prozent der Bevölkerung) seit 1989 lediglich 2.200 gleichgeschlechtliche Paare geheiratet. Davon sind 300 Ehen bereits wieder geschieden und haben 200 Ehen durch Tod einer Partnerin/eines Partners geendet. Insgesamt haben also nur 1,7 Prozent diese Lebensform in Dänemark gewählt.

Für die vielleicht doch bald massenhaft benötigten Hochzeitstorten empfehlen wir rechtzeitig einen Sponsoringvertrag, zum Beispiel mit Bahlsen („mit echter Butter ...“) abzuschließen. Denn wir wissen ja jetzt: „Auch gay money makes the world go round.“

Weiter bedeutet es für Becks Truppe, daß auch „SchwuLesben“ bald an „forderster Front im heißen Wüstensand von Mogadi- chou-chou“ und unter Palmen mit West-Zigaretten liegen dürfen. Wir sind überall – in Werbeagenturen, Designerbüro, in Cocktailbar und bald auch in der Bundeswehr! Die grüne „SchwuLesbentruppe“ zieht weiter, damit nicht nur Robbie und Paul mit West, „erschöpft, aber glücklich“, kuscheln dürfen.

Wirkliche Schwulenpower wird jedoch benötigt für Länder wie Rumänien, Iran und Tasmanien, für das Fortbestehen der Aids-Hilfen und Lesben- und Schwulenzentren und in Zeiten massiven Sozialabbaus (zum Beispiel Frauen-Lesben-Projekte). Martin Reuter, Ulf Bollmann,

Hamburg