„Die Rechte setzt in der Kultur den Hebel an“

■ In Orange werden Bibliotheken „gesäubert“, 30 Kilometer weiter feiern Frankreichs Kulturschaffende auf dem Theaterfestival Avignon den Internationalismus – und schweigen

Die auf dem Theaterfestival in Avignon versammelten Kulturschaffenden Frankreichs haben bis jetzt noch nicht auf den rechtsnationalen Affront reagiert. Und das, obwohl gerade das Festival für aufgeklärten Internationalismus steht und ein Großteil der RegisseurInnen, SchauspielerInnen, TänzerInnen und ChoreographInnen zu der Gruppe zählt, die Le Pen am liebsten verjagen würde: „Ausländer“. Zu ihnen zählt auch Josef Nadj aus Exjugoslawien. Er galt als Geheimtip, leitet seit drei Jahren das Tanzzentrum in Orléans und ist auf dem Festival mit zwei Produktionen vertreten, die Anfang nächsten Jahres auch in Deutschland zu sehen sein werden.

taz: Herr Nadj, hat der rechtsnationale Kurs der Front Nationale mit der Büchersortierung in Orange eine neue Qualität erreicht?

Josef Nadj: Allerdings. Ich muß aber sagen, daß ich das erwartet habe. Für die von der Front Nationale regierten Städte in Frankreich werden die Zeiten in kulturellen Fragen noch härter werden. Es ist offensichtlich, daß die extreme Rechte gerade in der Kultur den Hebel ansetzt, um Frankreich zu verändern.

Vor zwei Jahren protestierten die Künstler hier in Avignon gegen Kürzungen der Sozialversicherung. Letztes Jahr verfaßten Ariane Mnouchkine und andere hier ihre Bosnien-Resolution. Warum schweigt man bisher zum Vorgang in Orange?

Ich hätte es eigentlich lieber, wenn gegen solche ungeheuerlichen Vorgänge auf politischer Ebene reagiert würde. Wir Künstler und Intellektuellen können zwar Resolutionen verfassen, aber das bleibt zumeist nur ein Rauschen im Blätterwald. Doch ein Grund ist bestimmt auch, daß wir hier in Avignon an erster Stelle damit beschäftigt sind, unsere Stücke unter erschwerten Bedingungen auf die Bühne zu bringen und daß wir so gut wie nicht organisiert sind. Nur wenn so etwas wie letztes Jahr von einer Person wie Ariane Mnouchkine in die Hand genommen wird, kommt etwas dabei heraus. Ich denke aber, daß wir uns in den nächsten Tagen zusammensetzen werden und daß Angélin Preljocai, der sich letztes Jahr geweigert hat, das Tanzzentrum von Chateauvallon im Le-Pen-regierten Toulon zu übernehmen, etwas organisieren wird.

Sie leiten das Tanzzentrum in Orléans. Wie ist die Situation dort? Hatten Sie als „Ausländer“ schon Probleme?

Die Situation ist verrückt. Die Stadt wird links regiert, die Region von der Front Nationale beherrscht. Subventioniert werden wir zur Hälfte direkt vom Kultusministerium, die andere Hälfte teilen sich die Stadt und die Region. Probleme hatte ich noch keine.

Sie kommen aus Kanijiza in Exjugoslawien. Möchten Sie wieder zurückkehren?

Ich bin jedes Jahr mehrmals dort und kläre immer wieder meine Möglichkeiten ab, da ich gerne zurück möchte. Im Moment kann man dort aber nicht arbeiten, da alle Voraussetzungen fehlen.

Und hier in Frankreich? Können Sie sich vorstellen, daß sich das Klima weiter so verändert, daß Sie nicht mehr hier leben möchten?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Ich habe ja in Budapest Kunst studiert, bin dann ins Theater gegangen und wählte bewußt Frankreich als das Land, in dem ich arbeiten möchte. Im Moment denke ich aber, daß das nicht meine letzte Station sein wird.

Interview: Jürgen Berger