Kosmopolitische Bücher und liberale Schriften raus, faschistische Klassiker rein: Im südfranzösischen Orange, seit einem Jahr von der rechtsextremen Front National regiert, wird die Bibliothek systematisch von unerwünschtem Kulturgut befrei

Kosmopolitische Bücher und liberale Schriften raus, faschistische Klassiker rein: Im südfranzösischen Orange, seit einem Jahr von der rechtsextremen Front National regiert, wird die Bibliothek systematisch von unerwünschtem Kulturgut befreit

Ideologische Säuberung der Bibliothek

„Junge Geliebte“ ist zu „unanständig“, „Beruf Bibliothekarin“ ist zu „spezialisiert“ , und die „nordafrikanischen Erzählungen“ sind zu „kosmopolitisch“. Wenn die Kulturverantwortlichen im Rathaus von Orange Titel von der Anschaffungsliste der Stadtbibliothek streichen, wissen sie, warum: Die Bücher passen nicht in das Konzept des Bürgermeisters der provenzalischen Stadt. Jacques Bompard, einer der Männer der ersten Stunde in der rechtsextremen Partei „Front National“, will die Kultur neu gewichten.

„In diesem Land, wo die Kommunisten 10 Prozent der Stimmen und die Front National und De Villiers 20 Prozent haben, wird in den Bibliotheken nur die Linke und die extreme Linke bedient“, monierte Bompard. Seine Mitarbeiter verstanden und kauften neben seichter Unterhaltungsliteratur Bücher ehemaliger Waffen-SSler und faschistische Klassiker ein.

Ein Bericht im Auftrag des französischen Kulturministers deckte die Zensur in Orange – eine der drei französischen Städte, die seit dem vergangenen Jahr von der Front National regiert werden – auf. Bibliotheksinspektor Denis Pallier listet drei wesentliche „Abweichungen“ in der Bibliothek von Orange auf: Viel Unterhaltungsliteratur, rechtslastige Interpretation von Pluralismus und Ethnozentrismus.

Die ehemalige Bibliothekschefin, Catherine Canazzi, die inzwischen den Arbeitsplatz gewechselt hat, beklagt die konstante Einmischung der neuen Stadtoberen in ihre Arbeit. Unter den vorausgegangenen Bürgermeistern von Kommunisten, Neogaullisten und Sozialisten habe es so etwas nicht gegeben. „Jetzt kommt der völlig inkompetente Kulturbeauftragte des Bürgermeisters jeden Tag zur Inspektion in die Bibliothek. Und die geringste Neuanschaffung muß von ihm genehmigt werden.“

Im vergangenen April verschwanden bei einer dieser Kontrollen unter anderem Erzählungen aus Afrika, Südamerika, China und Haiti aus dem Programm. Bibliotheksinspektor Pallier bedauert dies besonders, da „Erzählungen zu den wichtigsten Genres der Kinderliteratur gehören“. Statt ihrer „universellen Weisheiten“ wolle Bürgermeister Bompard „die nationalen und regionalen Ursprünge betonen“, erklärt der Rapporteur in seinem Bericht an den konservativen Kulturminister Philippe Douste-Blazy.

Gleich nach seiner Wahl zum Bürgermeister hatte Bompard den BibliothekarInnen gezeigt, wohin die Route gehen solle: Die Abonnements der Tageszeitungen Le Monde und Libération wurden gekündigt. Die Begründung, wie bei den folgenden Angriffen auf die Kulturvielfalt auch: „Sparzwang“. Seither können die BibliotheksnutzerInnen der 30.000-Einwohnerstadt die beiden liberalen Blätter nur deshalb noch lesen, weil der Bürgerverein „Alerte Orange“ – Alarm Orange – sie auf eigene Kosten abonniert und der Bibliothek zur Verfügung stellt.

Im folgenden Schritt strich der Bürgermeister die Subventionen für das weltberühmte Festival „Chorégie“. Das diesjährige Tanz-, Oper- und Theatertreffen findet allein deshalb statt, weil die Pariser Regierung den Ausfallbetrag übernahm. Nächste Opfer von Bompard waren die örtliche Kulturorganisation „Mosaique“ und sozial engagierte Bürgerinitiativen, denen jede Unterstützung entzogen wurde. Und wenn ihre Mitglieder trotzdem weiter aktiv sind, liegt das vor allem an ihrer hohen individuellen Motivation.

Wenn sich nach Bompards Angriffen auf die Kultur die nationale – im Fall der Chorégie auch die internationale – Presse einschaltete, machte das Rathaus regelmäßig einen Rückzieher. So auch in diesem Fall. „Lügen“, schrieb der Bürgermeister vergangene Woche auf einen Aushang, den er am Rathauseingang neben dem Mahnschreiben des Kulturministers und den Veröffentlichungen der Tageszeitung Libération befestigte. Und inzwischen darf die Bibliothek auch anschaffen, was ihr zuvor vom Rathaus untersagt worden war, so teilen BenutzerInnen mit. Diese Bücher werden dann neben den Werken des ehemaligen Waffen-SS- Mitglieds Léon Gautier, des italienischen Faschisten Julius Evola und des antisemitischen Schreibers Henry Coston stehen, die auf Anraten der Kulturbeauftragten angeschafft worden sind.

Die Politiker in den beiden anderen Front-National-regierten Städten Marignane und Toulon haben sich mit Zensur bislang stärker zurückgehalten als ihre Kollegen in Orange. Doch auch sie verlangen im Gegensatz zu ihren Amtsvorgängern Einsicht in die Anschaffungslisten der Bibliotheken und hievten die rechtsextremen Tages- und Wochenzeitungen auf die Abonnementlisten der öffentlichen Bücherhallen. In Toulon setzte der Kulturbeauftragte zum Unwillen der Buchläden einen Stand für die rechtsextreme Zeitung Présent beim Bücherfest durch.

Auf nationaler Ebene hat die Front National den Rapport über Orange bereits zu ihren Propagandazwecken ausgenutzt. Sie forderte die Mitglieder ihrer Jugendorganisation „Front national de la jeunesse“ auf, die öffentlichen Bücherhallen systematisch auf „Pluralismus“ zu überprüfen. „Verlangt nationale Titel und nationalistisches Gedankengut von den Bibliothekaren“, schlug die Partei ihren Jugendlichen als Sommeraktivität vor.

Max Ferry, Sprecher von „Alerte Orange“ ist überzeugt, daß nur „lautes und öffentliches Engagement“ gegen die massiven Eingriffe der Rechtsextremen helfen kann. Nicht nur im Kultur- und Vereinsleben der kleinen Stadt, sondern auch im Straßenklima hat das Auftreten der neuen Rathausherren längst Spuren hinterlassen. Oppositionsabgeordnete beklagen, daß sie von rechtsextremen Ratsherren auf offenener Straße und in Cafés beschimpft und mit Gewalt bedroht werden. Der neogaullistische Politiker in Orange, Thierry Mariani, verlangt das Einfrieren aller Subventionen aus Paris. „Nur so kann Bompard gestoppt werden“, begründet er seine radikale Forderung.

Rechtlich betrachtet hat die Regierung in Paris kaum Einfluß auf die Kulturpolitik der Gemeinden. Bei den Bibliotheken kann der Kulturminister nur noch über Neu- und Ausbauten und über „technische Kontrollen“ eingreifen, seit 1986 ein Gesetz deren Dezentralisierung verfügte. In Orange zeigt sich jetzt, wie sehr ihm die Hände gebunden sind. In seinem Mahnschreiben an Bürgermeister Bompard konnte Douste-Blazy lediglich damit drohen, daß er die Subventionen für die geplante Mediathek der Stadt zurückhalten werde, wenn keine demokratische Materialauswahl sichergestellt sei. Für das kommende Jahr kündigte der Kulturminister ein neues Gesetz an: Es soll den „Pluralismus in den Bibliotheken“ regeln. Dorothea Hahn, Paris