Koalition kappt Kündigungsschutz

■ Ins Sparpaket geschmuggelt: Großunternehmen sollen auch ohne Abfindung Massen entlassen können

Frankfurt/Main (taz) – Wenn es nach den Fraktionen von CDU, CSU und FDP geht, sollen große Unternehmen, die massenhaft Arbeiter entlassen, künftig keine Abfindungen mehr zahlen müssen. Buchstäblich in letzter Minute hat die Koalition in Bonn noch eine Änderung des Paragraphen 113 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beschlossen und in das sogenannte Sparpaket eingearbeitet – als Änderungsantrag zum „Arbeitsrechtlichen Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung“. Danach sollen geschaßte ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit mehr als 600 MitarbeiterInnen künftig keine Abfindung mehr einklagen können. Voraussetzung ist, daß Betriebsrat und Geschäftsleitung sich nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassungsankündigung auf eine soziale Abfederung der Entlassungen verständigen können und es auch einen Monat nach Anrufung einer Schlichterstelle nicht zu einer Einigung gekommen ist.

Bisher gab es zwar auch keine Einigungspflicht in Verhandlungen über Sozialpläne bei bevorstehenden Massenentlassungen in Betrieben mit mehr als 600 MitarbeiterInnen. ArbeitnehmerInnen, die von Kündigungen bedroht waren, konnten aber nach gescheiterten Verhandlungen Abfindungen einklagen, deren Höhe ihre Position und ihre Betriebszugehörigkeit berücksichtigte. Mit der Reform des Paragraphen 113 BetrVG soll nun das Klagerecht obsolet werden.

Das „billige Herauswerfen von Leuten“ sei jetzt nur noch eine Frage der Terminplanung der Unternehmer, erbost sich IG- Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner. „Der Arbeitgeber, der rechtzeitig Entlassungen plant, zwei Monate pro forma verhandelt und dann die Beschäftigten rauswirft, spart künftig bares Geld.“ Fristen verschleppen, Verhandlungen mit dem Betriebsrat sabotieren – und dann die Abfindungen einsparen. So könne die neue Taktik leicht aussehen, meint sogar das Handelsblatt. Die einzige Hürde für Unternehmer ist, daß sie nicht mehr als zehn Prozent ihrer Belegschaftsmitglieder auf einen Schlag entlassen dürfen, wenn sie um die Zahlung von Abfindungen herumkommen wollen.

Karl-Josef Laumann, Obmann der CDU im Sozialausschuß des Bundestages, sieht solche Konsequenzen nicht. Die Änderung sei zwar auf Initiative der FDP erfolgt, sagte Laumann der taz. „Die Möglichkeit, auf eine Abfindung zu klagen, ist aber in Streitfällen weiter gegeben“, meinte der Abgeordnete. Er habe sich unter anderem im Arbeitsministerium erkundigt.

Das glaubt die Opposition inzwischen nicht mehr. Ein „unwürdiges Spiel auf Zeit“ nannte die hessische Ministerin für Frauen, Arbeit und Sozialordnung, Barbara Stolterfoht (SPD), gestern die Änderung. Sie sei ein weiterer Grund dafür, das gesamte „Sparpaket“ der Bundesregierung – eine „heftige, gemeine Attacke“ auf die ArbeitnehmerInnen – im Bundesrat abzulehnen. Gewerkschafter Schmitthenner sieht in der Änderung einen weiteren Beleg dafür, daß die Bundesregierung im Begriff ist, sämtlichen Kündigungsschutz abzubauen. Den entlassenen ArbeitnehmerInnen, denen ihr Ex-Arbeitgeber aus sozialer Verantwortung heraus noch eine Abfindung zahlt, dürfen die Arbeitsämter dann tief in die Taschen greifen: Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld. Übermorgen wird sich der Bundesrat mit der Vorlage beschäftigen. Klaus-Peter Klingelschmitt