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Bagger zum Streicheln

Open air: Das Industriemuseum „Ferropolis“ bei Dessau stellt den DDR-Braunkohletagebau aus  ■ Von Dorothee Wenner

So wie es unter den natürlichen Landschaften Moden und geschmäcklerische Präferenzen gibt, verhält es sich auch mit den Industriegebieten: Noch vor 20 Jahren galt das Ruhrgebiet mit seinen imposanten Zechen und brodelnden Stahlwerken allgemein als häßlich. Bezeichnenderweise wurde erst mit dem Ende der Kohle-Ära die Schönheit der dahinsiechenden Industrieanlagen entdeckt. Zeitgleich mit der „Entdeckung“ vieler Werkshallen als Kulturzentren wurde das ganze Ruhrgebiet landschaftlich komplett durchrenoviert und präsentiert sich nunmehr von der Bierreklame bis zur Städtewerbung am liebsten als grünes Freizeitparadies.

Kein Wunder also, wenn heute „echte“ Industriegebiete und Fabriken, wie sie noch in den Kinderbüchern dargestellt werden, als exotische Sehenswürdigkeiten der Ex-DDR gelten. Zu den Topausflugszielen von Industrieromantikern gehören derzeit die Braunkohlegebiete im südlichen Brandenburg und in Sachsen-Anhalt: fertige Science-fiction-Filmkulissen, apokalyptische Westernwüsten mit monströsen Schrottgebilden, Riesenbaggern und DDR- Barackenanlagen.

Die 164 Tagebaurestlöcher, 100 Industriebrachen und 38.000 Hektar Öd- bzw. Kippflächen werden derzeit unter der Aufsicht der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau Verwaltungsgesellschaft (LMBV) saniert. Kurz nach der Jahrtausendwende soll sich die wilde, unwirkliche Szenerie in eine hübsche Seen- und Erholungslandschaft verwandelt haben. Das Ganze kostet jährlich 1,5 Milliarden Mark und beschäftigt noch 17.000 Menschen, die, nach getaner Landschaftsverschönerung, einer eher ungewissen Zukunft als Bademeister oder Kioskverkäuferin entgegensehen.

Über die Art und Weise, wie aus der fulminant durcheinandergebrachten Natur wieder etwas „Natürliches“ entstehen soll, gehen die ökologischen Meinungen ebensoweit auseinander wie die ästhetischen. Es gibt die „Homöopathen“, die auf die Selbstheilungskräfte des Erdreichs rechnen, und die radikalen Renaturierer, die jeden Hang rutschfest nach dem Wieder-wie-neu-Prinzip aufforsten wollen. Und dann ist vor Ort noch eine dritte Fraktion aktiv, die jedoch nur einen winzigen Teil des Gebiets für seine Pläne benötigt – und diesen schon ergattert hat. „Ferropolis – die Stadt aus Eisen“ soll ein in Europa einmaliges, technologiegeschichtliches Museum werden, in dem man noch nach der Jahrtausendwende sinnlich erfahren kann, wie die vielen Badeseen ringsumher entstanden sind.

Vom Wörlitzer Park kommend fährt man durch das „Industrielle Gartenreich“ von Sachsen-Anhalt weiter Richtung Gräfenhainichen und biegt am Autohaus Hünsche links ab. Die kleine Straße führt zur einer Schranke, die von der netten Dame im geblümtem Arbeitskittel nur dem Neugierigen geöffnet wird, der eine Zugangsberechtigung hat.

Ein Besucher, der gleich nach der Wende immer wieder zu der

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Grube Golpa-Nord kam, war der Koblenzer Architekt Martin Brück: Er war vom Anblick der riesigen Bagger und Absetzer dermaßen fasziniert, daß er 1992 am nahe gelegenen Bauhaus in Dessau eine Diplomarbeit für eine museale Neunutzung der Geräte einreichte. Brück schlug vor, die in den Tagebau hineinragende Halbinsel nach der Flutung zu erhalten und dort vier Großgeräte zusammenzuschieben und begehbar zu machen: Der älteste Takraf-Schaufelradbagger, zwei Absetzer sowie ein sowjetischer Schreitbagger sollten auf diese Weise vor der Verschrottung gerettet werden.

Die monströsen Geräte bilden schon jetzt, bevor „Ferropolis“ als fertiges Bergbaumuseum mit angegliedertem Freizeit-, Forschungs- und Kulturprogramm existiert, eine beeindruckende Kulisse. Das gesamte Areal ist ein Referenzstandort für die Expo 2000 und der Ausgangspunkt für einen schon teilweise begehbaren „Lehrpfad der industriellen Wandlung“, der an zugewachsenen Kippen, an einem alten Kraftwerk, Verspülrohren und Gleisanlagen vorbeiführt. Eigentlich wäre es Uwe Schuppans Berufung gewesen, den kompletten Abbau der „Ferropolis“-Halbinsel zu leiten.

Heute ist der zum Sanierer konvertierte Bergmann für die Öffentlichkeitsarbeit vor Ort zuständig: „Zuerst habe ich die Idee, aus Golpa-Nord ein Baggermuseum zu machen, für kompletten Unsinn gehalten. Für uns waren die Geräte doch ganz normale Spaten. Doch dann kamen die ersten Physiklehrer, und denen fielen sogar die Augen raus, als sie ihren Schülern die Motoren hier erklären wollten!“ Mittlerweile hat Schuppan das laienhafte Staunen über seinen alten Arbeitsplatz so oft erlebt, daß er die Bauhaus-Pläne sogar für ein wirtschaftlich überzeugendes Konzept hält – vorausgesetzt, die hier flankierend anvisierten Kulturgroßveranstaltungen finden ebenfalls statt. Schuppan gehört zu den Praktikern der „Ferropolis“-Arbeitsgruppe, die die Dessauer Museumsfraktion berät, welche ihrer Ideen machbar sind und welche nicht. Er hat sich längst daran gewöhnt, daß sich die Bauhaus-Leute nur für das interessieren, wo Rost dran ist. „Was noch glänzt, das fassen die gar nicht an!“ Auch das kann sich mit dem immer schnelleren Dahinsiechen der DDR-Industrie bis zur endgültigen „Ferropolis“-Fertigstellung noch ändern. Wer weiß, vielleicht stiehlt die kleine, genial zusammenschiebbare „Boitzenburger Achtsegmenthalle“ gleich neben der Verwaltungsbaracke, die heute von manchem Industrietouristen noch schnöde übersehen wird, im Expo- Jahr den riesigen Eimerkettenschwenkbaggern 651 und 197 noch die Show?

„Ferropolis“-Führungen können individuell bei der LMBV-Abteilung „Öffentlichkeitsarbeit“ unter der Tel.-Nr.: 03495/335272 vereinbart werden.

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