„Sie ist eine vorsichtige, etwas spröde Person“

■ Alfred Nemeczek, stellvertretender Chefredakteur von „Art“ und Pressesprecher der 3. documenta 1964, hegt Vorbehalte gegen die neue documenta-Chefin Catherine David

taz: Herr Nemeczek, was halten Sie davon, daß im kommenden Jahr erstmals eine Frau die documenta in Kassel leitet?

Alfred Nemeczek: Das ist rundum positiv. Frau David ist, wenn man sie mit ihren männlichen Vorgängern vergleicht, die am wenigsten prominente documenta-Veranstalterin. Sie hat im Vorfeld bei weitem nicht so spektakuläre Ausstellungen gemacht wie etwa Jan Hoet oder Harald Szeemann. Daß dieses Mal eine Frau die Leitung übernommen hat und daß diese Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen wurde, finde ich sehr begrüßenswert.

Vorwürfe gegen Catherine David gibt es dennoch. Sie sei zu schwach, den Widrigkeiten des Kunstmarktes zu widerstehen, heißt es. Andere meinen, sie könne die documenta nicht genügend in der Öffentlichkeit vertreten.

Ich würde diese Schwächen nicht bestätigen. Ich hatte anfangs meine Vorbehalte, weil Frau David in ihrer Planung hinter ihrem Vorgänger zurücklag. 27 Monate vor der neunten documenta stand der Mitarbeiterstab fest, waren die Räume, das Logo und der Plakatentwurf da. In einem vergleichbaren Zeitraum hat Frau David das nicht geschafft.

Die David ist also langsamer als ihr Vorgänger Hoet. Sie haben ihr einmal vorgeworfen, sie würde nur durch Scharmützel um ihre Person von sich Reden machen, aber nicht von der Kunst sprechen. Warum diese Polemik?

Ich habe Frau David anfangs scharf kritisiert, weil sie eine unverständliche Geheimniskrämerei gemacht hat. Sie hat nie gesagt, wie sie arbeiten wird. Sie sprach immer nur davon, was ihre documenta nicht werden soll: kein Jahrmarkt, keine Messe, keine Novitätenschau. Inzwischen zeigt sich aber, daß Frau David unter dem Zeitdruck genauso normal agiert, wie es ihre männlichen Vorgänger getan haben. Sie lädt aus dem Kreis der bekannteren Künstler eben die Fähigeren ein, von denen die Kunstszene etwas zu erwarten hat. Inzwischen ist sie beim business as usual angelangt.

Ihre Meinung über Catherine David hat sich, wie's scheint, ja erheblich gewandelt. Vor einiger Zeit meinten Sie noch, die David würde auf das Grab der Kunst nur noch mehr Erde schaufeln.

Kenner wissen, daß es mit der Kunst zur Zeit nicht gerade gut bestellt ist. Frau David sagt da sehr vernünftig, daß sie einen positiven Ansatz sucht, einen, der heutigen Menschen Hoffnung macht. Immerhin konkurriert die Kunst längst mit anderen Dingen wie dem Fernsehen, digitaler Vernetzung, der Unterhaltungsindustrie und der Werbung. Nun hat sich Frau David auf die Suche nach einem Ansatz gemacht, bei dem sich herausstellen soll, wie Kunst sich von diesen Dingen unterscheidet. So hat sie es zumindest in ihren ersten „documents“ formuliert, und damit kann man sehr zufrieden sein.

Aber gerade diese ersten „documents“ stießen doch bei Ihnen auf Kritik. Sie warfen der David vor, sie würde eine Theorie-Debatte anzetteln.

Ich habe ihr vorgeworfen, daß sie offene Türen einrennt. Das ist in der Tat das Ärgerliche bei Frau David, daß sie die Leute in Deutschland so behandelt, als seien sie nicht ganz auf der Höhe des kunst- und kulturkritischen Diskurses. In dem Zusammenhang habe ich gesagt, daß das Gerede vom Tod der Kunst längst bekannt ist. Und jetzt kommt Frau David und tut so, als ob das etwas ganz Neues wäre.

Vor der versammelten Hamburger Kunstwelt hat sie sich bei einem Abendauftritt hingegen keinen Satz zur documenta entlocken lassen, sich völlig in Schweigen gehüllt. Das ist, gelinde gesagt, merkwürdig. Sie hat nicht einmal gesagt, es tut mir leid, ich kann Ihnen heute noch nicht mehr sagen, wir sind noch lange davon entfernt, und ich muß noch arbeiten. Nicht einmal das hat sie gesagt. Sie ist da sehr unverbindlich.

Kennen Sie Catherine David persönlich?

Als sie gerade ihr Amt angetreten hatte, habe ich mich mit ihr mal zwei Stunden lang unterhalten. Mein Eindruck: Frau David ist eine vorsichtige, etwas spröde Person. Interview: Petra Welzel